1288 - Das unheimliche Mädchen
Klang bekommen hatte. Die Frau hatte sich jetzt hingestellt und schaute über den Tisch hinweg.
»Was ist hier los? Was geht hier vor?«
Sie hatte eine gewisse Härte in ihre Stimme gelegt, aber ich hörte auch die Unsicherheit, denn das leichte Zittern war nicht zu überhören. Es konnten ihr nur zwei Menschen eine Antwort geben, aber Gabriela fiel dabei aus, also war ich es, der sich langsam erhob und den Kopf drehte, um sie anzuschauen.
»Ich weiß es nicht genau. Aber ich werde versuchen, Gabriela aus dem Kloster zu bringen.«
»Das ist Teufelswerk«, sagte eine ältere Nonne, bevor sie sich hastig bekreuzigte.
»Ja, das ist es!«, stimmte die Oberin ihr zu.
»Warten wir es ab!«, rief ich über den Tisch hinweg. »Vertrauen Sie mir. Ich sage Ihnen schon jetzt, dass es nicht das Werk des Teufels ist. Verlassen Sie sich darauf.«
Als wollte der Löffel meine Worte Lügen strafen, bog er sich noch höher und ging plötzlich in Flammen auf. Da zuckte das Feuer mit einem leisen Fauchlaut in die Höhe. Für einen entfernt stehenden Menschen musste es so aussehen, als stünde die Suppe in Flammen. Dabei brannte nur der Löffel in einer kalten Flamme, die keinen Rauch abgab.
Gabriela war zurückgezuckt. Sie hatte sich gegen die Stuhllehne gedrückt, als wollte sie diese durch den Druck ihres Körpers zerbrechen. Sie hob auch die Arme so weit an, dass sich die Hände zu beiden Seiten dicht neben ihrem Kopf befanden. Kurz danach sprang sie mit einer heftigen Bewegung auf und schrie.
Auch ich blieb nicht mehr sitzen. Der Stuhl flog zurück. Ich musste jetzt in Gabrielas Nähe bleiben, um zu versuchen, das Schlimmste zu vermeiden.
Sie war zwei, drei Schritte zurückgegangen und wirkte wie ein Fremdkörper in der Umgebung.
Sie kam mit sich selbst nicht zurecht. Das war ihr anzusehen. Sie war durcheinander. Sie schüttelte den Kopf, sie jammerte, sie hielt die Arme von ihrem Körper abgespreizt, und sie schluchzte leise vor sich hin.
Äußerlich hatte sie sich ebenfalls verändert. Das Gesicht zeigte an den Wangen dicke rote Flecken, die sich am Kinn vorbei bis zum Hals hinzogen. In den Augen irrlichterten die winzigen Flammenpunkte. Auch wenn es noch nicht deutlich zu sehen war, konnte man sie als Flammenquelle oder Gefahrenherd bezeichnen.
In den vergangenen Sekunden hatte sich keine der Nonnen mehr gemeldet. Das änderte sich, denn der Oberin war bewusst geworden, dass sie hier das Sagen hatte.
Sie befahl den anderen, auf ihren Plätzen zu bleiben. Sie selbst bewegte sich, und ich sah, dass sie mit einer wütenden Bewegung den Kopf schüttelte. Sie musste sich den Antrieb geben. Da konnte sie einfach nicht anders und ging mit einem großen Schritt in Richtung meines Schützlings. Sie öffnete auch den Mund, um Gabriela anzusprechen. Sicherlich wollte sie alles selbst in die Hand nehmen.
Dazu durfte es auf keinen Fall kommen.
»Bleiben Sie stehen!«
Ich hatte so laut gesprochen, dass sie sich tatsächlich nicht bewegte. In den nächsten Momenten war sie irritiert und schüttelte leicht den Kopf.
»Gehen Sie keinen Schritt weiter, Schwester!«
Das Gesicht der Oberin lief rot an. Es steckte der Zorn in ihr, das konnte jeder erkennen. Ich hörte, wie sie tief einatmete, dann brach es aus ihr hervor.
»Ich leite das Kloster! Ich lasse mir nichts von einem Fremden sagen! Hier bestimme ich!«
»Nein. Sie werden…«
»Ich werde nichts tun, was ich nicht verantworten kann. Sie haben uns hier die Laus in den Pelz gesetzt. Sie allein tragen die Schuld für dieses verdammte Teufelswerk, Sinclair. Sie allein und kein anderer. Sie haben dem Bösen Einlass verschafft, und ich werde es wieder hinaus in die Hölle schicken!«
Die Reaktion war aus ihrer Sicht verständlich. Aber sie wusste nicht, auf was sie sich da einließ. Bisher hatte sie die andere Seite nur in der Theorie erlebt, ich jedoch kannte die Praxis und wusste, wie gefährlich die andere Seite war.
»Fassen Sie Gabriela nicht an!«
Meine Warnung ignorierte sie. Ich war auch zu weit weg, um noch eingreifen zu können. Für mich war Gabriela zu einer lebenden Bombe geworden, und genau das wollte die Oberin nicht wahrhaben. Sie war schneller bei ihr, als ich es mir ausgerechnet hatte, fasste sie an, schüttelte sie sogar durch, und dann geschah das, was ich leider befürchtet hatte. Wir alle erlebten einen schrecklichen Albtraum…
***
Mit beiden Händen hielt die Oberin Gabriela fest. Es war klar, dass sie die junge Frau in Richtung Tür schieben
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