129 - Im Vorhof der Hölle
reden.
Dorian schwieg, und Hermon fuhr fort: „Die Schwarze Magie hat dir gezeigt, daß Tote sehr wohl ein Eigenleben führen können. Der Biß eines Vampirs ist an sich tödlich. Der Gebissene stirbt, macht aber eine Metamorphose durch und wird ebenfalls zu einem Vampir. Und die Untoten - sie waren alle einmal tot, doch die Schwarze Magie hat bewirkt, daß sich ihre Körper regenerierten. Auch das ist eine Art Unsterblichkeit. Eine Metamorphose mittels Schwarzer Magie. Deine Person, Dorian Hunter, beweist, daß es noch eine weitere Art der Unsterblichkeit gibt. Du hast schon viele Leben gelebt. Als du 1487 als Baron Nicolas de Conde starbst, wanderte deine Seele in den Körper eines Neugeborenen. Du wurdest Juan Garcia de Tabera und nach dem Tode de Taberas Georg Rudolf Speyer. Danach Michele da Mosto und so weiter. Glaubst du, daß deine Seelenwanderung etwas Einmaliges ist?"
Hermon machte eine Pause. Dorian fragte sich, warum ihm der Dreimalgrößte das alles erzählte. Er wartete jedoch geduldig.
„Dein Freund Dr. Faust hat zwar keinen Körper, aber auch seine Seele führt nach seinem Tode ein Eigenleben. Und hier, in dieser Halle, findest du eine andere Art der Unsterblichkeit. Ich habe die Körper meiner besten Schüler aus allen Jahrhunderten einbalsamieren lassen, um ihren großen Seelen die Wohnstätte zu erhalten. Nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten sind alle diese Männer tot. Dennoch lebt ihr Geist im wahrsten Sinne des Wortes weiter. Ohne diese Geister wären wir längst schon von unseren Feinden verjagt worden. Ihre geballte Macht ist es, die es uns erlaubt, diese Stellung zu halten. Die Toten sind oft weiser als die Lebenden, Dorian. Und so ziehe ich nicht selten meine toten Schüler in wichtigen Fragen zu Rate. Mehr als die Hälfte aller meiner Entscheidungen haben in Wirklichkeit sie getroffen. Deshalb lasse ich es mir nicht nehmen, sie auch diesmal zu Rate zu ziehen. Meine toten Schüler sollen entscheiden, wie es weitergehen soll."
Dorian wollte etwas sagen, aber Unga trat schnell vor und gab ihm durch einen Wink zu verstehen, daß er schweigen sollte. Statt dessen richtete der Cro Magnon das Wort an Hermon. „Sollen wir dich mit deinen Schülern allein lassen, Hermon?" fragte er.
„Nein, ich möchte, daß ihr bleibt", sagte der Dreimalgrößte. „Für euch wird das Zwiegespräch mit den Toten sehr lehrreich sein, denn dabei werdet ihr Antworten auf alle eure Fragen erhalten. Auch du, Unga, sollst über gewisse Dinge Klarheit bekommen. Du sollst erfahren, warum ich dich damals, vorüber tausend Jahren, belogen und getäuscht habe. Ich fühle mich dir gegenüber schuldig, aber ich hoffe, daß du mir mein falsches Spiel verzeihst."
„Dafür bedarf es keiner Worte", sagte Unga schnell.
Hermon gebot ihm Schweigen.
Die anderen sahen in stummer Ehrfurcht, wie er die Galerie der Grabkammern abschritt. Als der Dreimalgrößte seinen Rundgang beendet hatte, schwebte er lautlos zurück in den Kreis seiner lebenden Schüler und setzte die Silbermaske wieder auf.
Dorian und Coco warfen Unga einen fragenden Blick zu. Olivaros Gesicht war ausdruckslos; er hielt immer noch Trigemus fest und zwang ihn, stillzuhalten.
Dorian wurde immer ungeduldiger. Doch gerade als er glaubte, daß Hermon sie längst vergessen hatte, sich ihrer Anwesenheit nicht mehr bewußt war - da erhob sich ein Raunen. Es kam aus den Grabkammern. Das anfängliche Stimmengewirr wurde zu einer einzigen Stimme. Die Geister der Toten vereinigten sich zu einem einzigen Ganzen.
Und dann erzählten die Toten die Geschichte Padmasambhawas.
Nachdem die Reiter aus dem Nichts, die Unga aus dem „kalten Hain" gerettet hatten, verschwunden waren, erschien eine große, schlanke Gestalt.
Unga erkannte sofort seinen Herrn Hermon und wußte, daß er mit Padmasambhawa identisch war. Der Cro Magnon verneigte sich ehrfürchtig vor ihm und sagte: „Ich danke dir, Hermon, daß du mich vor den Bon-po gerettet hast."
„Ich kann doch meinen treuen Diener Unga nicht am Ort Shitavana meinen Feinden überlassen", sagte Hermon mit ausdruckslosem Gesicht. „Es kostete mich überhaupt keine Mühe, meine Leute aus einem Magnetfeld zum ,kalten Hain' zu schicken und dich wieder zurückzuholen."
„Ich weiß", sagte Unga. „Dennoch war ich im Zweifel, ob du…"
„Warum hast du an mir gezweifelt?"
„Weil ich dachte, du wärest meiner Dienste überdrüssig", antwortete Unga. „Ich mußte zu dieser Meinung kommen, weil du mich allein in diesem
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