1292 - Die Blutbrücke
habe, ist das auch ganz natürlich. Wenn sich Buchstaben in Blut verwandeln, ist auch alles andere möglich, an das man bisher nicht mal im Traum gedacht hat.«
»Langsam, langsam.« Harry rollte bis zu einem Streifen vor, weil die Ampel rot zeigte. »Noch ist Ihnen nichts passiert. Ich denke, dass dies auch so bleiben wird.«
»Ha, meinen Sie wirklich?«
»Klar.«
Heiko Fischer wollte es nicht glauben. Nicht wirklich. Deshalb schüttelte er den Kopf, gab aber keinen Kommentar mehr ab. Stattdessen schaute er zu, wie eine Gruppe von verkleideten Kindern sich der Ampel näherte, um über den Zebrastreifen zu gehen.
Für die Kinder war Halloween ein tolles Fest. Sie hatten Spaß daran, und sie freuten sich, wenn man sie belohnte, nachdem sie irgendwo geklingelt hatten.
Es gab auch andere. Jugendliche und junge Erwachsene, die wieder einen Grund sahen, die Sau rauszulassen. Hinter den Masken glaubten sie, sich alles erlauben zu können. Besonders dann, wenn Alkohol mit im Spiel war. Und das war fast immer der Fall. Je länger die Feiern dauerten, desto extremer konnte es werden.
Die Gruppe der Kinder überquerte den Zebrastreifen. Sie trugen Laternen, die aussahen wie Kürbisse oder niedliche Gespenster. Da war kein künstliches Blut zu sehen, da gab es nichts Grauenhaftes, was manche Menschen zu Tode erschrecken konnte. Für sie war es ein gruseliges Spiel, das sie genossen. Sie winkten den beiden Männern im Auto sogar zu, und Harry Stahl grüßte zurück.
Nicht so Heiko Fischer. Er saß angespannt auf dem Sitz, den Gurt quer über der Brust. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt und auf seine Oberschenkel gelegt. Sein Blick hatte etwas Starres und auch in sich Gekehrtes bekommen. An den Mundwinkeln bewegte er die Lippen, und seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen.
»He, was ist mit Ihnen?«
Heiko nickte gegen die Scheibe. »Da kommt was auf uns zu. Verlassen Sie sich darauf.«
»Klar. Halloween.«
»Und die Brücke.«
»Wobei Halloween harmlos ist. Sie haben die Kinder doch gesehen und auch erkannt, mit welch einem Spaß sie bei der Sache sind. Ich denke, Sie sehen die Dinge zu schwarz.«
»Kinder sind Kinder. Und die haben auch nichts mit der Blutbrücke zu tun.«
Harry zuckte die Achseln. »Ich kann verstehen, dass Sie zu den Dingen eine andere Meinung haben als ich, da ich nicht an der Brücke gewesen bin. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag. Sollte es Ihnen zu stressig sein, werde ich drehen und Sie wieder zu Ihrer Wohnung zurückfahren. Ist das ein Vorschlag?«
»Nein«, sagte Heiko schnell. »Das will ich nicht. Ich komme mit.«
»Okay, es ist Ihre Entscheidung.«
»Die Brücke brauche ich ja nicht zu betreten.«
»Stimmt.«
Hinter ihnen ertönte eine Hupe. Beide schreckten zusammen und erkannten sofort den Grund. Die Ampel hatte von Rot auf Grün gewechselt, so konnten sie endlich fahren. Heiko Fischer brauchte den Weg nicht zu erklären. Das tat die neutrale Stimme, die dem Leitsystem angeschlossen war.
So rollten sie weiterhin über die feuchten Straßen hinweg, auf denen die Blätter klebten. Längst hatten die Menschen in den Häusern Licht gemacht. Gelblich leuchteten die Vierecke der Fenster.
Auf dem letzten Kilometer schwiegen beide. Sie befanden sich bereits auf der richtigen Straße. Die Brücke war noch nicht zu sehen.
Hin und wieder erschienen wieder einige gruselige Gestalten, diesmal keine Kinder, sondern Halbwüchsige, die schon jetzt Krach machten und auch schrille Musik mitbrachten. Die Klänge dröhnten aus den Lautsprechern der tragbaren CD-Anlagen.
»He, was ist das?«
Heiko Fischer, der auf seine Knie geschaut hatte, schreckte hoch. »Was meinen Sie?«
»Die Lichter da vorne.«
»Verstehe ich auch nicht.«
Harry ging vom Gas. Er musste nicht lange nachdenken, denn beim zweiten Blick hatte er erkannt, dass es sich um eine Straßensperre handelte, deren gelbe Lichter in bestimmten Abständen aufleuchteten.
»Das ist genau an der Brücke, Harry.«
»Richtig. Und damit ist sie wohl für den verdammten Verkehr gesperrt worden.«
»Warum? Ich verstehe das nicht. Verdammt, das war doch vor ein paar Stunden noch nicht. Warum sperrt man Brücken? Doch nur, weil man sich vor einem Einsturz fürchtet - oder?«
»Ja, das ist möglich. Rechnen muss man mit allem, obwohl ich daran nicht so recht glaube. Das muss einen anderen Grund haben. Na ja, wir werden sehen.«
»Da ist bestimmt was passiert. Etwas Schlimmes, Grauenvolles. Vielleicht hat es die ersten
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