1292 - Die Blutbrücke
zunächst ein Rätsel. Aber in diesem Spiel mischte noch ein Joker mit. Justine Cavallo, die blonde Bestie!
Wie sie in diesen Rahmen passte, war mir nach wie vor unbekannt. Aber es hatte sie gegeben, und es gab sie jetzt.
Plötzlich war sie da!
Ich blieb stehen. Ich war einfach zu überrascht. Ich hätte sie vor mir sehen müssen, es war nicht so dunkel, doch jetzt war sie wie aus dem Nichts erschienen. Völlig grundlos.
Genau daran glaubte ich nicht. Bei ihr gab es nichts ohne Motiv. Da steckte etwas dahinter.
Ich blieb cool. Durchzudrehen wäre jetzt genau das Falsche gewesen. Ich musste nachdenken, und ich wollte darauf warten, was sie unternahm.
Justine tat nichts - gar nichts. Sie stand einfach nur da und schwebte wie ich im Raum. Sie hatte sich auch nicht verändert. Wieder saß die Hose wie eine zweite Haut, wieder trug sie das durchsichtige rote Top unter der offen stehenden Lederjacke, und ihre Augen sahen so klar aus, als läge eine Eisschicht darin. Sie rührte nicht den kleinen Finger, und ich dachte daran, dass es nicht die echte Justine war, sondern nur eine Erscheinung.
Möglicherweise auch ein magisches Hologramm. Oder dass sie in Wirklichkeit nicht hier vorhanden war, sondern an irgendeinem anderen Ort und nur als Erscheinung in diese Sphäre geholt worden war.
Nur - wer hatte sie herangeschafft?
Darüber zerbrach ich mir den Kopf. Diese Welt war eigentlich nichts für sie. Umgeben von blutleeren Geistern, denen sie keinen Lebenssaft aussaugen konnte, das passte nicht. Da war sie einfach fehl am Platze. Als mir dieser Gedanke kam, setzte ich mich wieder in Bewegung, weil ich auf sie zugehen und sie ansprechen oder anfassen wollte, auch wenn das gefährlich werden konnte.
Es wunderte mich nur, dass sich mein Kreuz nicht stärker bemerkbar machte. Es hätte eigentlich brennen müssen, weil mir diese Dimension feindlich gegenüberstand.
Da passierte gar nichts. Für das Kreuz schien diese Welt nicht vorhanden zu sein. Aber es hatte sich bemerkbar gemacht. Daran erinnerte ich mich genau, nur blieb es jetzt ohne Reaktion.
Es drängte mich danach, Justine anzusprechen, und ich ging noch immer in ihre Richtung. Vielleicht noch zwei Schritte, und es tat sich auch weiterhin nichts.
Genau in diesem Moment passierte wieder etwas, das ich nicht begriff. So rasch konnte ich gar nicht denken, denn Justine Cavallo war von einem Moment zum anderen verschwunden, und ich stand wirklich da wie der berühmte begossene Pudel…
***
Angela Finkler war nicht mehr als drei Schritte gegangen, als sie stehen blieb und nach der Hand ihres Kollegen fasste.
»Bitte, Jens, halte mich nicht für eine Memme, aber jetzt möchte ich, dass du mich fest hältst. Es ist alles so unnormal. Die Welt ist da, aber trotzdem ist sie irgendwie weggerutscht. Kannst du das verstehen?«
»Es ist schon okay«, erklärte er mit rauer Stimme und nicht eben wie ein großer Held. »Auch ich fühle mich alles andere als wohl. Ich bin wirklich kein Feigling, ab er hier ist alles so anders, obwohl es auch gleich geblieben ist…« Er verstummte, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Trösten konnte er seine Kollegin nicht, deren kalte Hand sich in seine schmiegte. Auch er musste sich hart zusammenreißen, um normal zu bleiben.
Auch weiter fielen Blätter von den Bäumen. Der Wind war schwächer geworden. Er trieb sie jetzt wie trudelnde kleine Schiffe über die Straße hinweg. Manchmal landeten sie auf ihr. Andere wiederum ließen sich auf dem schmalen Gewässer nieder.
Weiter vorn, am Ende der Brücke, leuchteten die gelblichen Warnlichter in einem bestimmten Rhythmus. Ein schwacher Dunst hatte ihnen die Klarheit genommen. Jetzt sahen sie aus wie Raubtieraugen, die in Wasserdampf schwammen.
»Warum ist das so?«, fragte Angela und schob beim Gehen mit dem rechten Fuß Blätter zur Seite.
»Warum kommen mir diese verdammten Gedanken? Es ist doch alles normal hier. Eine Brücke im Herbst. Leichter Dunst, fallende Blätter, es ist kühl, es ist alles normal. Und dass es die Stunden vor Halloween sind, das kann es auch nicht sein. Verdammt noch mal, ich habe nicht mal Lust, Fotos zu schießen.«
»Ich habe auch so ein komisches Gefühl, Angela. Die Fete der Polizisten hat uns die Augen geöffnet. Anders kann ich es mir auch nicht erklären.«
Die nächsten Meter legten sie schweigend zurück. Hinter ihrem Rücken hörten sie das Geräusch eines heranfahrenden Autos. Als sie sich drehten, sahen sie, dass der Wagen wieder gewendet
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