1292 - Die Blutbrücke
Fähigkeiten, die er bekommen hatte.
Für Justine Cavallo war er ein Testfall gewesen, den die blonde Bestie als positiv eingestuft hatte. Es war wirklich alles nach ihrer Nase gelaufen. Sie hatte es geschafft, mich auf die Blutbrücke neugierig zu machen und mich hinzulocken, und ich war ihr in die Falle gegangen, was ich noch als nicht besonders schlimm empfand. Bisher war es mir noch immer gelungen, aus den Fallen zu entwischen, und auch jetzt sah ich mich nicht als völlig chancenlos an.
Mir gefiel nur nicht, dass ich zu einem Spielball in ihren Händen geworden war. Leider gab es keine Möglichkeit, selbst die Initiative zu ergreifen.
Sie zeigte sich wieder. Vor mir im Dunst. Der Nebel blieb in einer gräulichen Farbe, die sich allerdings so weit öffnete, dass ich schon was erkennen konnte, auch wenn es nur der Umriss der blonden Bestie war.
Unser erstes Zusammentreffen war nichts anderes als eine Begrüßung gewesen. Es stand für mich fest, dass es ab jetzt ans Eingemachte ging. Den Worten mussten einfach Taten folgen.
Sie sprach mich nicht mehr an. Sie schwebte näher. Sie wuchs. Der Nebel verzerrte ihre Gestalt, wobei die Bilder auch wechselten. Mal sah sie aus wie aufgepumpt, dann wirkte sie wie jemand, der stark in die Länge gezogen worden war.
Nur ihr Gesicht blieb gleich. Es war so glatt. Ebenso wie das Lächeln der Lippen. Den Mund hielt sie geschlossen. Mir brauchte sie ihre Zähne nicht zu zeigen, und jetzt wurde mir bewusst, dass ich mit Justine wieder etwas Neues erlebte.
Zum ersten Mal eigentlich ging es ihr nicht um mein Blut, sondern um etwas anderes. Sie hatte dazugelernt, und freuen konnte ich mich darüber wirklich nicht.
Die Beretta zu ziehen, um auf sie zu schießen, das wäre einfach nur lächerlich gewesen. Nicht hier, wo sie das große Sagen hatte. Und mein Kreuz? Es gab nicht mal Wärme ab. Okay, ich hätte die Formel sprechen können, möglicherweise wäre alles anders geworden. Andererseits gehörte ich zu den Menschen, die sehr neugierig sind, besonders, was das eigene Schicksal anging.
Jemand hatte sie stark gemacht. Es konnte Mallmann, alias Dracula II, gewesen sein. Auch er war jemand, der immer neue Wege suchte, denn die alten Pfade waren ihm zu ausgetreten. Ich glaubte sogar daran, dass er sich auf etwas Bestimmtes vorbereitete, das auch ihm gefährlich werden konnte.
Erste Anzeichen hatte es bereits gegeben. Irgendwo spukte mir sogar der Schwarze Tod im Kopf herum, denn der Fall mit Desteros Söhnen hatte mir bewiesen, dass etwas brodelte.
Ich konnte nichts daran ändern, die Gedanken waren mir automatisch gekommen, und sie hatten mich auch für eine kurze Zeit von der Blutsaugerin abgelenkt, die jetzt locker durch den grauen Nebel schritt, ohne mir groß näher zu kommen.
Es geschah trotzdem etwas. Leider nicht mit ihr, sondern mit mir. Ob ich daran etwas hätte ändern können, wusste ich in diesen Augenblicken nicht, aber ich erlebte eine Starre, die mich im ersten Moment stark ängstigte.
Es passierte so schnell. Ich war nicht mehr in der Lage, mich zu bewegen. Von unten nach oben kroch eine kalte Schicht, die zuerst meine Beine steif werden ließ und dann den übrigen Körper. Sogar mein Kopf wurde nicht verschont, und ich war gezwungen, ausschließlich in eine Richtung zu schauen.
Ein Fehler, John!, gestand ich mir ein. Du hast einen Fehler begangen. Du hast dich zu sicher gefühlt, und du hast dich gleichzeitig durch die eigenen Gedanken ablenken lassen.
Ich ärgerte mich, aber die Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, blieb mir nicht, denn dicht vor mir tauchte die unheimliche Gestalt der Blutsaugerin auf. Fast zum Greifen nahe…
Aber sie griff nicht zu. Sie blieb zurück.
»Keine Sorge, Sinclair, mich interessiert noch immer dein Blut, aber ich denke mittlerweile globaler. Ich kann mich nicht nur immer auf dieses Trinken und Saugen verlassen. Wenn ich das Blut brauche, werde ich es mir nehmen und mich für die anderen Aufgaben stärken. Vieles muss in die Reihe gebracht werden. Wir werden einen Bund schließen müssen, denn die Zukunft wird es zeigen, Sinclair. Dann muss jemand sehr stark sein, und ich werde mich auch noch um Vincent van Akkeren, den Grusel-Star, kümmern. Zuerst aber bist du an der Reihe, damit ich dich als Störenfried loshabe.«
Ich hörte alles klar und deutlich. Mein Gehirn schien sich sogar um ein Mehrfaches erweitert zu haben, und jedes Wort erreichte mich überdeutlich. Ich schien überhaupt keinen Körper mehr zu haben,
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