1295 - Feuerfluch
Kämpfe, Morde und Brandschatzungen hatte die Provinz ebenfalls erlebt. Viele Burgen und Festungen waren zerstört worden, aber es gab noch genügend Ruinen, die überall zu sehen und zu besichtigen waren. Dort konnte der Besucher dann den Atem der Jahrhunderte in sich aufsaugen.
Wir hatten vorgehabt, das Ziel sofort anzusteuern. Davon hatte uns Ann Moore abgeraten und vorgeschlagen, nach Green's Hook zu fahren, denn aus diesem Ort stammte sie. Und dort wohnte noch immer ihr Bruder David Moore mit seiner Familie. Sie war der Meinung, dass er uns vielleicht einige Hinweise und Informationen über das alte Kloster geben konnte.
Wir hatten nachgegeben und rollten nun auf den kleinen Ort zu, der sich der Landschaft angepasst hatte. Es gab keine hohen Häuser. Alles wirkte gepflegt und sauber. Man hätte meinen können, in ein Museumsdorf zu fahren, das durch das Eintrittsgeld der Menschen in Schuss gehalten wurde.
Das Blau des Himmels hatte sich gehalten, aber es schwebten jetzt einige weiße Wolken darüber hinweg.
Wir fuhren über eine Kopfsteinpflasterstraße in den Ort hinein, in dem die Häuser nur im Kern dichter beisammen standen, ansonsten aber auseinander gezogen waren, denn Platz gab es genug. In der Nähe lag ein kleiner See, dessen Ufer mit Weiden bewachsen waren. Von dort holte David Moore den Nachschub für seine Körbe. Er hatte sich neben der kleinen Schreinerei ein zweites Standbein zugelegt und arbeitete als Korbflechter.
David Moore lebte allein. Seine Frau war ihm von der Fahne gegangen, weil sie die Einsamkeit nicht aushalten konnte. Es war eben nicht jedermanns Sache, auf dem Land zu leben. Kinder gab es auch, doch die lebten bei ihrer Mutter in Maidstone.
»Es ist alles so friedlich«, kommentierte Ann, als wir durch den Ort rollten. »Man kann sich kaum vorstellen, dass in dieser Gegend etwas Grauenvolles passiert.«
»Das ist oft so«, antwortete Suko. »Das Böse oder das Grauen versteckt sich an Orten, wo man es nicht vermutet.«
»Glauben Sie an die Hölle?«
Die Frage überraschte uns. Ich gab trotzdem eine Antwort. »Wir glauben daran, dass es das Böse gibt, aber nicht so, wie es oft dargestellt wird. Dass Menschen in einen großen Kessel mit heißem Wasser gesteckt werden, der über einem Feuer hängt. An diese Hölle glauben wir nicht.«
»Ja, das sehe ich auch so.«
Wir sahen Hecken um die Häuser. Wir erlebten, dass sie auch geschnitten wurden. Leute fegten Laub zusammen und schauten uns nach, wenn wir sie passierten. Kinder spielten friedlich in der Sonne, und wenn der Blick mal freier wurde, sahen wir die großen Weideflächen, auf denen Schafe am winterlichen Gras rupften.
Den kleinen Ort hatten wir bald passiert. Nach Bayham Castle hielten wir vergeblich Ausschau, dafür sahen wir die Werkstatt des David Moore. Ein flacher Bau. Zum Teil aus Stein errichtet, den er hell angestrichen hatte. Flechtgewächse rankten an den Außenwänden in die Höhe, ließen aber die Fenster frei.
David Moore wusste, dass wir kamen, denn seine Schwester hatte mit ihm telefoniert. Ihm war unsere Ankunft aufgefallen, aber er trat nicht aus dem Haus, sondern aus seiner Werkstatt hervor, die sich als Anbau anschloss. Sie war aus Holz errichtet worden. Auf dem Dach lagen Grassoden. Über sie hinweg trieb der feine Rauch, der aus einem Kamin des Wohnhauses drang, das wir umfahren hatten, um auf den Hof zu gelangen, wo auch David Moore stand.
Er hatte die Hände in die Seiten gestemmt. Sein Haar war hellblond. Es wuchs ihm ziemlich lang bis in den Nacken hinein und passte zu seinem wettergegerbten Gesicht. Er hatte einen kräftigen Körper, starke Hände und breite Schultern. Diesem Mann war anzusehen, dass er fest zupacken konnte, was bei seinem Job auch sein musste.
Er trug eine Hose aus dickem Stoff und ein kariertes Hemd, von dem wir nur den Kragen sahen, weil es von einem dunklen Pullover verdeckt wurde. Am Stoff des Pullovers hingen einige dünne Holzspäne. Erinnerungen an die Arbeit in der Werkstatt.
Und den Geruch des Holzes nahmen wir wahr, als wir den Rover verließen. Unser Gast war zuerst ausgestiegen. Ann lief auf ihren Bruder zu und warf sich in seine Arme. Er war einige Jahre jünger als sie, hob sie allerdings an wie ein kleines Kind und drehte sich mit ihr auf der Stelle. Beide hatten sich seit einem halben Jahr nicht gesehen, umso größer war die Wiedersehensfreude.
Wenig später wurden wir vorgestellt. Der Händedruck des Mannes war kräftig, doch in seinen Augen sah ich
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