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13 alte Esel

13 alte Esel

Titel: 13 alte Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Bruns
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so sicher, als säße er selber an seiner Statt dort in der Scheune. Er mußte ihn herausholen, ihm hoch und heilig versprechen, daß dem Esel nichts geschehen würde, ihn beruhigen und es morgen vor Herrn Ess verantworten. Nichts anderes kam in Frage. Er gab sich einen Ruck und ging los.
    Weit auf dem Rückweg erst, volle fünf Minuten später, wurde ihm klar, daß er sich unbewußt abermals gegen den Verstand entschieden hatte. Anstatt zur Scheune ging er heimwärts, ohne den Jungen. Es war warm. Am Himmel jagten schwere, schwarze Wolken. Gegen Morgen würde es wieder regnen. Eine unrastige, bedrängende Nacht. Andreas würde mehr Angst haben, als er ahnte, und andere Angst, als er je gekannt hatte. Sicher fürchtete er sich kaum vor Mäusen und knarrenden Brettern und dem Pfeifen des Windes im Scheunengebälk. Aber sein Herz würde ihm hoch im Hals schlagen, die Zunge würde trocken werden, der Pulsschlag stocken oder jagen, und er würde Habakuk festhalten wollen, eine lange Stunde nach der anderen. Don Chaussee, allein mit dem Herbstgewölk und der Nacht und seinem mitleidsvollen Herzen, seufzte bekümmert auf. Er hätte ihm diese schwere Nacht so gern erspart, und doch entfernte er sich stetig weiter, ließ ihn zurück. Schon tauchten die Mauern des Bormannhofes auf; schon heulte Fanny heiser und erbost.
    Mit jedem Schritt wurde es ihm gewisser: Andreas brauchte diese Angst. Andreas brauchte sie vor allen anderen. Ein zarter, empfindsamer Junge, der nahe daran war, in Stumpfheit zu ersticken, den die Teilnahmslosigkeit seiner Umgebung teilnahmslos zu machen drohte, steinern fast. Ein kindliches Herz, zugeschüttet vom Müll menschlicher Dumpfheit, hin und her geschubst wie ein Ding, wie eine lästige Sache, heimatlos, wurzellos. Wenn er ihm nun diese einzige Angst, die sein Herz noch berührte, nahm, ehe sie ihn aufrüttelte und den Schutt beiseite schob, würde die Kruste vielleicht endgültig verhärten. Nein, nein, Andreas brauchte das. Don Chaussee blieb stehen; die Finger tasteten nach Pfeife, Tabaksbeutel, Streichholz, schlossen sich aufatmend um das vertraute Rund des Pfeifenkopfes. Er zog hastiger als sonst, zuinnerst erregt von dieser plötzlichen Einsicht: daß das Schicksal vielleicht einen kümmerlichen alten Esel ausersehen hatte, ein erstarrendes Jungenherz ins warme Leben zurückzuführen. Einen alten Esel auf dem Weg zur Wurstfabrik.

13. Kapitel

    Der nächste Tag, ein Mittwoch, grub sich Frau Martha für alle Zeiten unauslöschlich ins Gedächtnis ein, obgleich sie sich an lange Strecken der folgenden Tage später nicht mehr erinnern konnte. Die ungewohnten Tabletten versetzten sie zeitweilig in einen Trancezustand, und wiewohl ihr übel wurde davon, griff sie gierig immer wieder nach ihnen, um zu betäuben, was mit einem Mal bedrohlich aus ihrem eigenen Innern gegen sie aufstieg. Am Mittwoch setzte jene Folge von Ereignissen ein, die wie ein Sturm über sie wegbrausten, sie schüttelten, alte Ansichten entwurzelnd und ihr den Glauben an sich selber raubend, bis alle ihre scheinbare Sicherheit sich als Ohnmacht erwies, bis sie zerschunden und bloß zurückblieb.
    Sie wachte auf, und Andreas war weg.
    Sein Bett war benutzt gewesen. Seine Habseligkeiten fehlten. Das Fenster stand weit offen. Noch schlaftrunken, begriff sie zunächst gar nicht, was und wieviel es bedeutete. Sie fragte die Kinder, aber niemand wußte, wo er war. Sofort befiel sie der Verdacht, daß sie es alle wüßten und es ihr nur nicht verraten wollten, doch sie versuchte nicht einmal weiterzuforschen. Sie fühlte sich schwach; ihre Knie zitterten. Sowie die Kinder auf dem Schulweg waren, lief sie mit Schwester Monika hinaus und suchte den Park ab. Er konnte nicht weit weg sein, er hatte ihr nur einen Streich spielen, sie ganz bestimmt nur ärgern wollen. Alle machten ja jetzt, was sie wollten. Durch den Nieselregen hörte man von der Treppe her das Quietschen einer Säge.
    »Soll ich Ihren Mann fragen ?«
    Schwester Monika war schon halben Wegs, als ein wildes »Nein !« sie zurückrief. »Gehen Sie zu Müntes, ich frage bei Bormanns nach. Vielleicht ist er mit ihnen aufs Feld gefahren, um sich auch was zu verdienen, wie gestern die beiden anderen .«
    Schwester Monika wäre lieber zu Don Chaussee gegangen, zumal man ja, um aufs Feld zu fahren, nicht alle seine Sachen bündelt und mitnimmt. Die seltsame Gejagtheit der Chefin ängstigte sie. »Vielleicht findet er eine Spur«, wagte sie einzuwenden.
    »Spur?«
    »Ja.

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