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13 alte Esel

13 alte Esel

Titel: 13 alte Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Bruns
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dirigierte er die Gruppe auf die Wiese zu.
    Es gelang Frau Martha nicht, ihn beiseite zu nehmen, um ihm den neuerlichen Beweis ihrer Unfähigkeit zu gestehen. Vor den anderen wollte es ihr nicht über die Lippen. Sie glaubte ohnehin, jedermann müsse es ihr ansehen, ihr, die zeitlebens so nachdrücklich auf ihre makellose Pflichterfüllung hingewiesen hatte. Versagt, versagt: Nur das faßte sie noch. Wie ein Fels, der sie zu zerschmettern drohte, türmte sich das Bewußtsein ihres Versagens vor ihr hoch, eine immer undurchsichtigere Wand bildend zwischen den einfachen Vorgängen und ihrer verworrenen Reflexion.
    Gerda übersah die Situation mit einem Blick. Auf ihren Großvater zustürzend, rief sie in schrillem Jubel: »Der Andreas ist weggelaufen! Sie suchen ihn schon den ganzen Morgen, und die Polizei weiß auch Bescheid! Er hat’s nicht mehr ausgehalten hier. Ich halte es auch nicht aus. Nimm mich wieder mit nach Hause, ja ?« Schmeichelnd hing sie an seinem Hals, einen schrägen Blick voll Schadenfreude auf Frau Martha werfend, über welcher der Fels sich stets bedrohlicher niedersenkte.
    »Weggelaufen?« Herr Ess sah automatisch nicht Frau Martha, sondern ihren Mann an, dessen Falten sich zu beruhigendem Grinsen verzogen.
    »Liegt in Müntes Scheune und schläft .«
    »Also bitte, Gerda, nimm dich zusammen! Ich muß mich um die Esel kümmern. Geh ins Haus und stör mich jetzt nicht. Über das andere reden wir später .« Ärgerlich schob er sie beiseite. Höchste Zeit, daß sie in ein Pensionat kam, so ging es nicht weiter. Ihn so zu erschrecken. Er konnte Hysterie nicht ausstehen.
    »Neun«, sagte der Tierarzt auf der Weide. »Ich habe sie zweimal gezählt .« Er fügte kopfschüttelnd hinzu: »Soll mich wundern, was von de.nen am Leben bleibt! Die Untersuchung wird ein Weilchen dauern. Ich fang’ gleich an. Bring mir mal den ersten ‘ran, Ferdi .« Ferdi lief los. Seine Ohren waren knallrot geworden vor Stolz. Ziemlich geschickt holte er Hannibal aus der Herde, die sich hinter den Brombeeren zusammendrückte.
    »Der Junge macht sich ja tadellos«, hörte er den Tierarzt zu seinem Großvater sagen, »erinnern Sie sich noch an das Theater mit Ihrem Jagdhund, als er nicht mal das Halsband halten wollte, damit ich den Dorn aus dem Fuß ziehen konnte? Ein richtiges Muttersöhnchen, quengelig und verpimpelt .«
    Und sein Großvater sagte: »Ah, ich behaupte ja immer, das Kroppzeug gehört auf die Weide, an die frische Luft, was, Ferdi ?« Ferdi nickte begeistert.
    Als Frau Martha mit Herrn Ess und ihrem Mann auf die Feldscheune zuging, wogten die Gedankenfetzen hinter ihrer Stirn wieder schwerfällig durcheinander. Andreas’ Esel, die nächtliche Flucht... wieso wußte Josef das alles? Herr Ess lachte auf. Sie fuhr zusammen: Machten sie sich über sie lustig? Bormanns, Müntes, die Kommission, alle mußten sich ja über sie lustig machen, über eine alte Frau, die einfach losrannte und die Nachbarn mit Fragen nach einem durchgebrannten Jungen belästigte, der keine zweihundert Meter weiter schlief. Dazu noch unter Josefs Obhut. Es war lächerlich, lächerlich.
    Sie stolperte über eine ausgefahrene Furche, und wieder verhinderte, wie vorhin an der Treppe, der feste Arm ihr Fallen. »Völlig überarbeitet«, hörte sie ihren Mann sagen. Überarbeitet! So wenig verstand er sie, dieser... Die Gedanken liefen im Kreis. Weshalb war Andreas weggelaufen? Hatte er gestern anders ausgesehen? Es fiel ihr nicht ein, sie konnte sich nicht auf ihn besinnen. Statt dessen sah sie deutlich und schrecklich Malwine vor sich, die gar nichts mit Andreas zu tun hatte. Männer sind grausam, dachte sie. Weshalb sagte er denn nicht einfach: »Sie sind entlassen«? Dann wäre es vorbei.
    In der Scheune stand der Esel vor einem Ballen Heu und fraß. Beim bloßen Anblick wurde es ihr dunkel vor den Augen. Diese Esel! Als das Wogen hinter der Stirn wieder aussetzte, sah sie, wie ihr Mann sich zu einem ineinandergerollten Bündel Kleider hinunterbeugte, das halb vom Stroh verdeckt war, und es leise schüttelte. Der Junge warf sich herum und wachte mit einem erstickten Laut auf: »Habak...«, bis seine Blicke den Esel fanden. Er seufzte und sah hoch. Frau Martha hielt den Atem an, als sie in das emporgewandte Gesicht sah, in dem die Lippen zuckten von verhaltenem Weinen, wie bei einem Kind. Ein Kindergesicht mit verquollenen Augen und weichen Backen, auf denen die Manchesterstreifen des Ärmels im Schlaf kreuz und quer Muster eingedrückt

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