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13 alte Esel

13 alte Esel

Titel: 13 alte Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Bruns
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hatten. War das Andreas’ Gesicht? Es ähnelte ihm zwar, aber so hatte es gestern bestimmt nicht ausgesehen, das wußte sie sicher. Nicht so jung, so erbarmungswürdig jung und — und verscheucht. Er war doch immer ein stummer, unangenehmer Bursche gewesen, den man antreiben mußte, weil er sich stumpf widersetzte. Sie hörte die anderen reden, ohne die Worte in sich aufzunehmen. Eine ungeheure Erkenntnis überfiel sie, ließ ihr das Herz sekundenlang stocken: daß er ja noch ein Kind war, ein kleiner einsamer Bursche von dreizehn Jahren.
    Mit einemmal streckte sie die Hand aus und zog die dünnen Jungenschultern an sich und sah über seinen Kopf weg die beiden Männer mit einem Anflug innerster Erbitterung an: Merkten sie denn nicht, daß er sich fürchtete, der kleine Junge? Sie hatte es gespürt, als sie in das weiße, verweinte Gesicht sah. Sie hätte nicht erklären können, wieso sie es spürte, denn so etwas war ihr nie zuvor widerfahren, aber sie wußte es ganz sicher.
    Jetzt drangen auch die Worte zu ihr.
    »Was willst du denn mit ihm? Du kannst doch nichts mit ihm anfangen .« Herr Ess sagte es leicht nervös.
    Das Hochziehen der mageren Schultern drang ihr durch die Hände bis ins Herz, füllte sie mit fremder Wärme. »Haben«, sagte er hilflos-störrisch. Sie wußte nicht, worum es ging, aber sie sollten es ihm geben. Ihre Hände drückten beruhigend zu. Die Handflächen umschlossen die Schlüsselbeine und die Kugeln der Schultern. Hatte sie jemals so magere Schultern unter ihren Händen gefühlt?
    Herr Ess blickte ihren Mann an, murmelte: »Wenn nun der Doktor anders befindet? Man kann nichts versprechen. Möchte mich nicht einmischen .«
    Josef erwiderte mit der begütigenden Stimme, die sie stets zum Widerspruch reizte, weil sie so unmännlich war: »Er hat eben noch nie etwas für sich besessen .«
    Die Schultern unter ihren Händen strafften sich trotzig. »Doch«, widersprach der neue Andreas, »‘nen Goldhamster .« Es füllte sie kurz mit Befriedigung, daß er offensichtlich das weiche Mitleid auch nicht wollte.
    »So ?« fragte Herr Ess interessiert. »Was ist denn aus ihm geworden ?«
    »Weggenommen.« Die Schultern versuchten gleichgültig hochzugehen, doch die Bewegung brach in der Mitte ab, und die Schultern sackten nach vorn; die Stimme klang belegt. Es verwunderte sie, daß diese Winzigkeiten ihr weh tun konnten. Es ging sie ja nichts an. »Als meine Oma tot war .« Jetzt senkte sich auch der Kopf, und durch die beiden Handflächen rann das leise Beben der Schultern erneut bis in ihr Herz. Als seine Oma starb. Sie überflog im Geist seine Karteikarte, die Stationen seines Kinderlebens — Heim, Waisenhaus, Pflegemutter, noch eine Pflegemutter, Großmutter. Herrgott, zehn Jahre war das her. So lange dachte er an einen Goldhamster, trauerte er ihm nach. Das ahnte man ja nicht. Wieder fiel ihr zusammenhanglos Malwine ein.
    »Ach, das ist dumm«, sagte Herr Ess etwas ungeschickt. Er sah zu Don Chaussee, damit er ihm zu Hilfe komme. Er fühlte sich der Situation nicht gewachsen. Als niemand etwas sagte, räusperte er sich und fuhr überredend fort: »Goldhamster, so, so! Feine Sache. Weißt du was, hier hast du zehn Mark. Damit kaufst du dir ein Goldhamsterpärchen und fängst eine Zucht an. Alle paar Wochen eine Handvoll Goldhamsterchen zum Verkaufen, das wäre doch was, wie? Ist das nicht besser als so ein...«, er brach unvermittelt ab und räusperte sich wieder. »Bleibt’s dabei ?«
    Andreas sah von dem Zehnmarkschein, der ihm gehören sollte, auf Habakuk. Mit einer hastigen Gebärde entzog er sich den Händen auf seiner Schulter und trat einen Schritt zurück. Alle drei sahen sie jetzt in das vom Weinen aufgedunsene Jungengesicht mit dem über Nacht gelösten Mund und den zuckenden Lippen. Die rechte Hand griff tastend nach hinten, in Habakuks Mähnenrest; und der Griff gab ihm Halt. Seine schwarzen Augen sahen auf Herrn Ess, dann zu Don Chaussee hin. Langsam schüttelte er den Kopf. »Was zum Haben kann man nicht kaufen .« Und mit einem zugleich scheuen und trotzigen Blick auf Frau Martha murmelte er: »Es braucht auch nicht nützlich zu sein .«
    Herr Ess sah die peinliche Bestürzung auf ihrem Gesicht und versuchte sie wegzulachen. »Na, na, mein Junge, das sind große Worte. Nicht käuflich, nicht nützlich — was soll es denn sein ?«
    In die schwarzen Augen kam ein sehnsüchtiger Zug. Sie sahen durch den Frager hindurch. »Es soll da sein«, sagte er.
    So simpel war das.

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