13 alte Esel
jäher Schärfe in seinen bloßen Arm; die kleine Stimme fauchte haßdurchtränkt; die Augen schielten böse, funkelten.
Es war nur ein Augenblick, ehe alles wieder wie vorher war. Doch dieser sekundenkurze, ganz unbewußte Ausbruch erinnerte Don Chaussee an jenen großen Ausbruch, der ihn vor zwei Tagen so entsetzte, weil er die Decke von Zucht und Wohlerzogenheit elementar gesprengt hatte. Seitdem herrschte Unruhe, brodelte es. Verbrecherkinder, Vorstadtgesindel — die Worte seiner Frau fielen ihm ein: Wenn man sie nicht straff im Zaum hält... Und hier saß er, unversehens bis an den Hals in Vorgänge verwickelt, die dazu angetan waren, den Zaum zu lockern. Und dann? Was verstand denn er davon — welches Recht hatte er, sich einzumischen, Esel herzubringen? Ein Frösteln überlief ihn. Dieser Haufen bizarrer, nach Jod und Blut stinkender, todeselender Schatten, oben messerscharf vom Abendrot abgehoben, unten schon verschwindend im hochkriechenden Nebel der Dämmerung — diese Verkörperung der Nutzlosigkeit, mit ihm zusammen, mit ihm an der Spitze eingezogen — wozu war er bestimmt? Wa« alles würde nur noch folgen? Fürchtete er sich? Er hatte sich nie gefürchtet. Es ging ja immer nur um ihn. Jetzt ging es um viele: um die Kinder, um Martha. Er fürchtete sich.
Malwines Stimme, verträumt und zwitschernd nun, holte ihn zurück. Im Licht der untergehenden Sonne sah sie rosig überhaucht aus, ganz gelöst und heiter. Sie schielte auf die Esel. »Die sind nicht arm«, sagte sie zuversichtlich, »die nicht — wo sie doch so hübsch sind — mit den weichen Schnauzen — und soviel Wolle in den Ohren...«
Am Abend gab Waldemar Müller hinter dem Haus einen Zwischenbericht. Man hatte den Empfänger in der Tschechei ermittelt und korrespondierte bereits mit ihm. Wahrscheinlich würde er keinen Wert darauf legen, daß die kleine Ladung den ganzen weiten Weg nachgeschickt wurde. Waldemar selber war — wenn er so frei sein durfte, hick — der Meinung, daß man da schon eher mit dem Absender in Irland verhandeln müsse, obschon der Weg, wie er zugeben mußte, dorthin auch nicht viel kürzer war. »Und dann ist noch Wasser dazwischen«, erinnerte Schwester Monika.
Die Angelegenheit war ungeheuer aufregend, einmal wegen der ausländischen Korrespondenz — er hatte, wie er verlegen gestand, den gestrigen und heutigen Tag unter Beiseitestellung, seiner übrigen Pflichten hauptsächlich auf die Abfassung des englischen Brieftextes nach Irland verwandt — zum anderen wegen seiner plötzlichen Popularität im Dorf, wo. ihn jedermann ansprach und nach den Eseln ausfragte.
Schwester Monika hatte soeben die Kleinen zu Bett gebracht und nahm aus dem Badezimmerfenster an der Unterhaltung teil. Wieder konnte sich Don Chaussee des Eindrucks nicht erwehren, daß ihr nicht nur von der Arbeit so heiß geworden war. »Englisch«, wiederholte sie enthusiastisch, »das schüttelt er nur so aus dem Ärmel. Er müßte schon längst befördert sein. Finden Sie nicht auch ?«
Don Chaussee dachte an die zwei Tage, die er bereits an diesem englischen Brief schüttelte, und machte vorsichtshalber nur: »Hm, hm«, was Schwester Monika als ausreichend empfand, um fortzufahren: »Ich wette, der Herr Bennekamp kann kein Englisch !« Waldemar Müller mußte das, nun ebenfalls errötend, zugeben. Stationsvorsteher Bennekamp sei Humanist, erklärte er. Schwester Monika ahnte nicht, was das war, und ließ sich keinesfalls imponieren.
Don Chaussee interessierte sich nach dem Eingreifen des Herrn Ess und seines sicherlich rührigen Tierschutzvereins nur noch maßvoll für den Großeinsatz der Bahn. Er hörte eine halbe Pfeife lang zu, tippte höflich an den Sombrero und ging mitten in der dritten Wiederholung freundlich lächelnd fort.
Herrn Müllers verwirrtes Stoppen gab Schwester Monika Gelegenheit, sich der Meinung zu entledigen, die sie sich nach den Ereignissen der letzten drei Tage über den Mann ihrer Chefin gebildet hatte. »Ein merkwürdiger Mensch«, sagte sie mit genau der Wichtigkeit, die ihren Schlüssen nach so langer Überlegung zukam, »mal murmelt er nur so vor sich hin, mal redet er sehr zuvorkommend, >die Blumen der Blume< und so, mal schneidet er auf, daß man Zahnweh kriegt. Ulkig ist er sehr, das muß man zugeben. Und beim alten Herrn Ess hat er jetzt schon einen Stein im Brett, so Wahr ich hier stehe, das können Sie mir glauben! Ob das der Frau Krapp recht ist, weiß ich nicht. Heute morgen guckte sie so komisch.
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