13 alte Esel
>Und Bileam sattelte seine Eselin .< «
»Au ja, Bibel !« sagte Franziska enthusiastisch.
Die Bibel kannten sie durch ungezählte Sprüche alle. Ein wenig hin und her, dann einigten sie sich auf die Propheten. »Nahum, Habakuk, Hesekiel, Joel, Daniel, Jeremias, Hiob, Arnos, Micha, Jona...«, rasselte es.
Ännes Augen glitzerten. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen wie eine Katze, die eine einsame Tasse Rahm vor sich sieht und im Geist schon in kommenden Genüssen schwelgt. Propheten! Frau Martha würde Zustände kriegen, und sie selber hatte nur Bileam gesagt, wogegen niemand was haben konnte. Sie lachte in sich hinein.
Don Chaussee mischte sich nicht ein. Als er aber die Kletten stumm abseits stehen sah, erkundigte er sich: »Na, was für ‘nen Propheten habt ihr euch denn ausgesucht ?« Sicher hätten sie jedem anderen Frager gegenüber den Mund nicht aufgemacht, doch der Mann besaß ihr Vertrauen, und so erfuhr er, daß für Bernd und Bubi nur ein Name in Frage kam: Onkel Otto. Mit ihm verbanden sie das freundlichste Bild ihres Lebens, eine rundliche, muntere, kahlköpfige Erscheinung in einem bunten Bilderheft, das sich — der Himmel mochte wissen, wie — in die Schule und von dort aus einen ganzen Tag in den Besitz von Bernd und Bubi verirrt hatte. Bis Änne es entzweigerissen hatte. »Wundervoll«, entschied Don Chaussee, »da heißt der eine Onkel und der andere Otto, und jetzt suchen wir sie aus .«
»Haben wir schon«, sagte Bernd, und Bubi zog den Mann zu zwei nebeneinander fressenden Eseln hin, die es sich gefallen ließen, daß die Jungenpfoten ihnen ungeschickt tätschelnd über Bauch und Ohren fuhren. Sie unterschieden sich in nichts von den übrigen Jammergestalten, doch machte es den Kletten von der ersten Minute an nie Kopfzerbrechen, sie aus dem Rudel herauszufinden. Aus dem Haus ertönten laute, ärgerliche Rufe. Schwester Monika kam hastig auf die Wiese gelaufen. »Frau Martha wartet in der Waschküche auf euch, Änne und Franziska. Und du, Leo, du Faultier, weißt doch, daß du die Mangel drehen sollst! Andreas, los, wir brauchen Wasser von der Pumpe. Schreckliche Kinder seid ihr, treibt euch bei den Eseln herum, während wir vor Arbeit nicht wissen, wohin! Na, ihr wißt ja, was euch blüht !«
Don Chaussee ging langsam weiter zum Wiesenzipfel. Er fühlte sich seltsam schuldbewußt und bedrückt. In der vorigen Woche hatte er keinen einzigen lauten Streit erlebt. Die Kinder waren still gewesen. Jetzt begannen sie sich zu widersetzen. Ließen Martha allein in der Waschküche.
Am äußersten Ende der Wiese hockte unter einem Busch, allen Auseinandersetzungen unendlich fern, Malwine, die Knie angezogen, das Kinn in den Händen, und starrte mit Augen, die nichts zu sehen schienen, auf den Heuhaufen und die Esel. Ihr Gesichtchen sah wie von Tränen dünngewaschen aus. Um den Zopf war ein Schuhriemen gewickelt, weil sie alle Schleifen verlor, bis auf die schrillrote Sonntagsscheußlichkeit.
Als Don Chaussee sich, einer inneren Regung folgend, neben sie setzte, fuhr sie panisch entsetzt zusammen. Der ganze magere Kinderleib zuckte in einem Schreckensblitz hoch und verharrte atemlos wie eine Eidechse, die von einer Natter überrascht wird und sich totstellt, dachte er und verzog hilflos den Mund. Was soll man da nur tun? Mit solch winzigen, dünnen Geschöpfen hatte er sein Leben lang nichts zu schaffen gehabt. Ob er weggehen sollte? Sie allein lassen? Unentschlossen drückte er den Tabak mit dem Daumen tiefer in die Pfeife und lächelte nochmals verlegen auf sie herab.
Und siehe da: Langsam, unhörbar entwich der spannende Atem, der Mund löste sich aus seiner blassen Verkrampfung, die Augen glitten schräg auseinander, wurden ein wenig dunkler und öffneten sich weiter. Sie sah, die Wange an der Schulter reibend, nach unten, dann — vorsichtig — hoch zu ihm. Und lächelte zurück. »Du hast die Esel gebracht«, sagte sie.
Er dämpfte seine Stimme. »Arme Kerle, was, Malwinchen?«
Sie legte den Kopf wieder schief, wie um die Worte in ihr Ohr tropfen zu lassen, überlegte ein Weilchen, lächelte, als habe er etwas Scherzhaftes gesagt, und schüttelte den Kopf. »Die sind nicht arm«, sagte sie mit einem zärtlichen Blick auf die elenden Klappergestelle, »bloß krank. Aber du machst sie gesund mit deinem Pinsel, nicht ?« Plötzlich veränderten sich ihre Mienen. »Sie sollen sie nicht mehr schlagen! Sag es ihnen. Verhau sie !« Ihre durchsichtige Hand krallte sich mit
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