13 alte Esel
er hinterdrein eilte, wobei er ebenfalls »Habakuk« sagte und hinzufügte: »Köstlich, köstlich .«
Unten mühte sich Andreas, den Esel nur fünf Zentimeter weit zurückzuzerren, damit Leo die Zugketten lösen konnte. Habakuk jedoch, der so bereitwillig vorwärts gesaust war, widersetzte sich stur dem Ansinnen, auch nur einen Fußbreit zu weichen, zumal er die Blätter sowieso nur mit vorgerecktem Maul erreichen konnte. »Bremse los, Rückwärtsgang ‘rein, Gas geben !« Leo dauerte die Geschichte zu lange. Er stellte sich schräg vor den Starrkopf, rammte das rechte Bein fest in den Boden und schob den ganzen Esel einfach mit der linken Schulter rückwärts. Das Grautier sackte verblüfft in die Hinterhand; die Ketten hingen durch. »Macht doch voran, ihr Kaffern !« brüllte Leo seinen Kumpanen zu. »Das Biest zieht mir die Hose aus, wenn ich’s noch lang auf dem Arm hab’ .« Habakuk strampelte in der Tat heftig. Die Ketten fielen ausgehakt auf den Sand. Leo überließ den verstörten Esel Andreas, während er selbst jetzt sein bulliges Gewicht gegen die Karre stemmte, um sie, von Ferdi durch einen Griff in die Speichen unterstützt, auf den Weg zurückzuschieben.
Alle drei waren bis über die Ohren beschäftigt und bemerkten die Erwachsenen erst, als Frau Martha sie schneidend anfuhr: »Habakuk, Habakuk! Was habe ich euch gestern noch gesagt? Die Namen der Propheten sind...«
»Köstlich«, sagte Herr Ess, dem im gleichen Moment eine Idee kam, »Habakuk — wenn man das hört und diese biblischen Tiere sieht, wird einem gleich das ganze Alte Testament lebendig .« Er betrachtete liebevoll den Esel, der ergeben in sich zusammensackte und wohl eingesehen hatte, daß es mit dem Fressen im Augenblick doch nichts war. »Die Idee stammt sicher von Don Chaussee, wie? Haben die anderen auch schon einen Namen? Ebenfalls biblisch? Ihre Einfälle — köstlich!« Die Idee in seinem Kopf nahm festere Formen an. Er strich sich gedankenversunken mit der Hand über das tadellos rasierte Kinn. »Hm, hm — Habakuk. Gut, sehr gut.« Frau Martha war dunkelrot geworden. Sie befand sich in einer zugleich peinlichen und empörenden Lage. Seit wann wagten die Kinder es, einem direkten Verbot entgegenzuhandeln, es frech beiseite zu schieben? Wer steckte dahinter? Ihr Mann? Früher war es nie passiert. Und da stand ihr Chef und lobte den Ungehorsam auch noch. Er wußte natürlich nicht, daß sie erst vorgestern strikt verboten hatte, die Namen der Propheten zu mißbrauchen, und sie wollte es vor den Kindern nicht mit ihm erörtern. Sie wußte nicht, was sie machen sollte. Sie wußte nur, daß sie ihren Mann hätte anschreien, ihm die Koffer vor die Füße werfen, ihn vor die Tür hätte setzen mögen. Sich gewaltsam zusammennehmend, begann sie pompös: »Die Namen der Propheten sind...« und sah dabei Leo an, der es in seiner Verwirrung für eine Aufforderung hielt und losratterte: »Jesaja, Jeremias, Hesekiel, Daniel, Hosea, Joel, Arnos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk...«
»Ha«, fiel Herr Ess, offensichtlich aus mehr als einem Grund befriedigt, ein, »Jona, Micha, Nahum — herrlich, einfach herrlich !« Er wandte sich den Jungen zu. »Na, Leo, wie heißt denn deiner ?« Leo sah unbehaglich vom Sprecher zu Frau Martha hin. Irgendwas stimmte hier nicht. Mißtrauisch zog er die Schultern hoch und rieb den fetten Nacken den Kragen entlang.
»Jeremias«, schrie Ferdi statt seiner, »der brüllt, wenn man an seinem Schwanz zieht. Er ist prima. Hier, guck mal, Großvater — ich hab ‘ne Blase in der Hand; die ist vom Graben. Ich hab’ Don Chaussee geholfen, und eben hab’ ich geholfen Mist aufladen, und ich brauch’ bitte eine Lederhose, weil diese Stoffhosen immer kaputtgehen. Kaufst du mir eine, Großvater ?«
Herr Ess sah sich die Blase in der Hand und die Winkel in der Hose an und war mit beidem sehr einverstanden. »Das ist richtig«, lobte er, »Jungens müssen dreckig sein. Putzt euch nur die Füße ab, wenn ihr ins Haus geht. Wegen der Lederhose sehe ich mal nach. Und laß dir bis übermorgen auch einen Propheten einfallen .« Er zwinkerte jetzt allen dreien zu. »Esel ohne Namen sind ja arme Würmer. Wißt ihr was? Wir werden ihnen am Sonntag feierlich allen einen Namen geben und hinterher ein Fest feiern, wie früher, wenn die Wege einen Namen bekamen oder die jungen Hunde. Ein richtiges Sommerfest, alle zusammen. Nun, was haltet ihr davon ?« Er sah sie wohlwollend an, so daß Ferdi geradezu beängstigend
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