13 alte Esel
Esel«, sagte sie frisch und verteilte sie im gleichen Atemzug auch schon. »Leo schreibt Nahum, Ferdi Obadja, Andreas Jesaja, Franziska Hesekiel...«
Leo bockte. »Meiner heißt nicht Nahum .«
»Ach, das ist ja egal«, sagte sie unwillig, »darauf kommt es ja nicht an. Herr Ess wird sich über die Schilder freuen. Das ist wichtiger. Also tut, was ich gesagt habe, und macht den Tisch nicht schmutzig; ich sehe später nach — wenn Flecken darauf sind, gibt es keinen Kuchen. Und schreibt ordentlich, damit wir uns nicht vor den Gästen blamieren...« So, die waren wenigstens beschäftigt.
Daß sie die Köpfe zusammensteckten, merkte sie nicht, da sie in die Küche ging.
Don Chaussee kam die Luft im Wohnraum dumpf vor, die Kinder schienen ihm lustlos und müde, obgleich sie, wie das ganze Haus, auf Hochglanz poliert waren. Einzig Franziska machte einen munteren Eindruck. Sie bereitete sich mit allen Fasern auf den Nachmittag vor, indem sie unter dem Tisch ihre Nägel feilte. Er selbst war angenehm erfrischt von einem Bier mit Große-Witte und trop-fendnaß vom Heimweg durch den Regen. Die Jungen müßten einen Dauerlauf rund um den Park machen, das würde sie ermuntern, dachte er, aber Martha würde sie natürlich heute nicht in den Regen hinauslassen. Irgend etwas beunruhigte ihn, ohne daß er es hätte benennen können.
In seine Erwägungen hinein sagte Andreas mit unbewegtem Gesicht: »Ist wieder einer kaputt .«
Die Kletten sahen angstvoll auf, und Andreas sagte zum erstenmal in seinem Leben bewußt etwas Gutes: »Nee, nich Onkel Otto .« Er rieb die Hand in der Hosentasche noch mal am Taschentuch ab. Gleich war das Gefühl von vorhin wieder da, und er wünschte plötzlich, hinauslaufen und mehr Eicheln sammeln zu können.
Malwine fuhr mit einem piepsigen Schreckenslaut hoch und war im nächsten Augenblick mit der ihr eigenen huschenden Lautlosigkeit aus dem Zimmer verschwunden. Don Chaussee fand sie später, als er hinging, um den Esel zu begraben, auf den Knien am Rand der Wiese hocken und versunken dem kleinsten, halbblinden Esel beim Grasen zusehen. Das Sonntagskleid war durchnäßt. Ihr Gesicht mit den straff zurückgekämmten Haaren schien ihm noch weißer als vor einer Woche, die schielenden Augen waren rotgerändert. Sie war verstört, ließ sich aber widerspruchslos von ihm. auf den Arm nehmen und zu Schwester Monika tragen. Am Wiesenrand blieb nur die schrille rote Schleife liegen.
Gleich nach Mittag kam mit einemmal Bewegung in das lähmende Grau draußen, der Sprühregen hörte auf, die Wolken teilten sich. Um zwei Uhr brannte die Sonne wie im August. Frau Martha stand am Wohnzimmerfenster und sah vor ihren Augen dampfend die Nässe vom Terrassenboden hochsteigen. Im Handumdrehen war der Steinfußboden trocken.
»Wir können draußen Kaffee trinken! Helft alle anpacken! Wir decken schnell den großen Verandatisch, und den kleinen Tisch aus dem Zimmer tragen wir mitsamt dem Geschirr hinaus .« Wäre es nicht absolut unmöglich gewesen, hätte sie laut aufjubeln mögen. Der Tag war gerettet, war in letzter Minute wieder in Ordnung gekommen.
Um Punkt vier standen die ersten Kannen Kaffee auf dem Herd. Die Kinder waren in ihre Schlafzimmer verwiesen, mit der strikten Aufforderung, sich still zu verhalten, bis sie gerufen würden. Gerda war nach der Kirche bei Kösters’ geblieben. Schwester Monika hielt Uwe auf dem Arm; sie war hochrot vor Nervosität und bewunderte die Chefin, die im dunklen Kostüm mit der hochgeschlossenen Seidenbluse ein Bild perfekter Korrektheit bot. Daß ihre Backenmuskeln vor zurückgehaltener Erregung leise bebten und die Augen allzu sehr glänzten, sah nur ihr Mann. Er stand irgendwo im Hintergrund. Dies war Marthas Fest, und er hatte sich vorgenommen, möglichst überhaupt nicht in Erscheinung zu treten. Ihr Anblick verstärkte die fremde Unruhe, die ihn seit dem Eintritt ins Zimmer heute morgen erfüllte. Auch jetzt hätte er nicht sagen können, was ihn so beunruhigte; es lag etwas in der Luft, etwas Gefährliches — davon war er überzeugt.
Schweigend warteten sie; die leeren Minuten dehnten sich. Wenn nun keiner kam? Wenn man sie schnitt?
Herr Ess hatte unterwegs einen Reifendefekt gehabt und kam mit Verspätung. Noch während Don Chaussee mit dem Chauffeur die Blechwanne voll Eis füllte und die Weinkisten aus dem Auto schleppte, hupte hinter ihnen Dr. Kösters fröhlich-anhaltend »Tatü-tataa«, und dann waren plötzlich alle da. Keiner hatte der erste sein
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