13 alte Esel
mischte sich Frau Martha ein. »Was machen Sie denn da für Sperenzchen mit dem Kind ?« erkundigte sie sich verblüfft. »Wollen Sie ihr die Milch vielleicht ein reden ?«
»Ja, ich dachte nur — ich meinte — Ihr Mann meint«, Schwester Monika wußte nicht recht, was sie vor der Chefin wohl am besten denken oder meinen sollte, und war bestürzt. »Es könnte psychologisch sein, dachte ich. Bei Hubert hat’s nämlich sehr gut geholfen .« Frau Martha schoß unvermittelt das Blut ins Gesicht. Ihr Mann wiegelte also hinter ihrem Rücken das Personal auf! Mit dummen Schlagwörtern. »Psychologie«, sagte sie und funkelte die kleine Schwester Monika, der sich vor lauter Arbeit ohnehin alles vor den Augen drehte, böse an, »was wissen Sie schon darüber? Da sollen sich notfalls die Gelehrten streiten — ich selber halte nichts davon! Merken Sie sich das. Und gewöhnen Sie sich nicht diesen übertrieben mitleidigen Ton an. Wer hat im Leben schon Mitleid mit uns? Man soll niemanden, der einem anvertraut ist, daran gewöhnen, Mitleid zu erwarten. Das Leben ist hart, das können wir den Kindern gar nicht oft genug sagen. Wenn sie es dann später leichter haben — um so besser. Haben Sie mich verstanden ?«
Schluckendes Nicken, wiewohl von Verstehen keine Rede sein konnte. Wenn der Herr Don Chaussee von Kindererziehung sprach, dann klang seine Meinung richtig, und wenn Frau Martha über dasselbe Thema ganz was anderes sagte, dann klang das ebenso richtig. Wer sollte sich da noch auskennen? Schwester Monika rettete sich aus diesem Zwiespalt, indem sie die Mädchen händeklatschend ins Badezimmer beorderte und Frau Martha meldete, daß in der Waschküche das Wasser für die Jungen heiß sei.
Und dann kamen die Kleinen aus dem Wald wieder, das Haus dampfte vom Badewasser, die Großen zankten sich wie jeden Samstag um die Reihenfolge, die Kleinen mußten nach der Laubsuche nicht nur von Schmutz, sondern auch von Harz und Raupen befreit werden, Malwine wimmerte, wenn man sie nur anfaßte, einer der Jungen warf den Kessel um und setzte die Waschküche unter Wasser, Gerda titulierte die schweißtriefende Monika naserümpfend mit »Pack«, worauf sie die zweite Ohrfeige dieser Woche bezog und sich laut jammernd bei Frau Martha beschwerte, Hubert verlangte ebenfalls, gebadet zu werden, um — wie er schallend verkündete — beim Fest nicht wie eine Sau nach Medizin zu stinken, und Leo knurrte, allen vernehmlich: »Noch einmal >Fest<, und ich kenn’ mich selbst nicht mehr!«
Aber auch heute kam der Augenblick, wo alle in ihren frischbezogenen Betten lagen und, wie Schwester Monika inbrünstig hoffte , schliefen. Frau Martha atmete auf. Der Tag war vorüber; das Haus blitzte. Sie konnte sich sehen lassen. Bis auf Kleinigkeiten, die morgen früh erledigt werden mußten, standen auch die Vorbereitungen zur Beköstigung der Gäste schon. Nach einem letzten Rundgang setzte sie sich an den Wohnzimmertisch und entwarf den genauen Plan für den morgigen Tag. Jeder sollte wissen, was er zu tun hatte und wie er es zu tun hatte. Nur so war der reibungslose Ablauf des wichtigen Tages gewährleistet.
Und dann erst, als wirklich nichts mehr zu tun blieb, nahm sie einen frischen Bogen Papier und begann klopfenden Herzens einen anderen Plan zu entwerfen — den Plan für den Anbau, für die Erweiterung des Heimes. Der Plan, der den ersten Schritt darstellte zur Krönung ihrer Lebensarbeit, zu einem wieder geordneten und von Grund aus neu eingerichteten, vielfach vergrößerten Haus mit zwanzig Jungen und zwanzig Mädchen, alle sechsjährig, wenn sie kamen, vierzehnjährig, wenn sie einer neuen Gruppe Platz machten. Sie rechnete. Der Bleistift flog, befeuert von dem Bild, das sie vor sich sah. Der Bogen füllte sich mit Zahlen in säuberlichen Kolonnen. So würde es gehen, so mußte es gehen!
Erst als sie später die Lampe neben dem Bett ausknipste, überfiel sie die Müdigkeit wie ein Fels, jäh und schwer. Es war ein überaus harter Tag gewesen, nicht nur arbeitsreich, sondern auch mehr als reich an nervlicher Belastung. Und doch war das letzte Gefühl, ehe der wohlverdiente Schlaf sie den Härten des Daseins entführte, das der Befriedigung: Nur wer sein Äußerstes einzusetzen bereit ist, darf damit rechnen, vom Leben belohnt zu werden.
10. Kapitel
Der Esel lag ganz hinten in der Ecke, noch hinter dem Brombeergestrüpp, und Andreas fand ihn nur, weil er hier über den Zaun klettern und eine Handvoll Eicheln für Habakuk sammeln
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