13 alte Esel
alles, was er davon haben sollte. Änne hatte erst vier Gäste bedient, als Gerda an der Reihe war. Sie saß mitten unter den Erwachsenen, nicht bei den Heimkindern drüben am kleinen Tisch, und hielt mit einer spöttisch gezierten Bewegung ihren Teller hin. Sie sah auf, Änne sah auf sie herab. Zwei katzenböse Blicke trafen sich. In der nächsten Sekunde schon schwankte die hochstielige Tortenschüssel, und die ganze Torte rutschte herunter: an Haaren, Gesicht und Brust vorbei bis auf Gerdas Schoß.
In das entsetzte Atemanhalten der Gäste drang vom Kindertisch kaum noch unterdrücktes Lachen. Frau Martha verschwamm die Terrasse vor den Augen. Gerdas Wutgeheul mischte sich mit Ännes Kreischen, als sie sich gegenseitig in die Haare fuhren. Klirrend zersprang die Tortenschüssel. Beide Mädchen waren von oben bis unten mit Sahne verschmiert, von der auch die Erwachsenen noch etwas abkriegten, als sie die zwei auseinanderzureißen versuchten. Die Kletten rutschten blitzschnell von ihren Stühlen und leckten mit den Fingern die Sahne vom Boden auf. Leo feixte unverschämt mit vor der Brust verschränkten Armen. Das Durcheinander war vollkommen.
Über das Kreischen und die leisen und lauten Bemerkungen hinweg hob sich die Stimme des hünenhaften Pfarrherrn im rollendsten Kanzelstil: »Zerstörung üper Zerstörung wird chemeldet, sagt Jeremias, denn verheert ist das chanze Land. Urplötzlich sind meine Hütten zerstört, in einem Augenblick meine Zelte !«
Unter dem befreiten Auflachen gelang es Schwester Monika und Herrn Müller, die beiden zankenden, sahneverschmierten Mädchen von der Terrasse weg ins Badezimmer zu schleifen, wohin ihnen alsbald die Kletten zur ebenfalls erforderlich gewordenen Generalreinigung folgten.
Herr Ess nahm es nicht tragisch. »Wo Kinder sind, kommt so was immer vor, das weiß ich noch von früher. Meine Frau war an Besuchstagen auch meist damit beschäftigt, Flecken auszuwaschen — aus dem Tischtuch oder aus Kleidern und Anzügen. Es ist lästig, aber kein Grund, sich die Laune verderben zu lassen. Liebe Frau Martha, nehmen Sie sich doch ein Beispiel an unserem Herrn Pastor, der offensichtlich entschlossen ist, sich auf flüssige Nahrung umzustellen — ich zähle schon die vierte Tasse Kaffee !« Während der Pfarrer markig gegen derartige Verunglimpfungen protestierte und nahezu schwor, die erste Tasse sei nur halb voll gewesen, biß sich Frau Martha die Unterlippe blutig. Sie fühlte mit der Zunge, wie die Haut sprang, und zog die Lippen hastig ein, damit niemand es sah. Sie machten sich über sie lustig! Der Pastor wußte, wie sehr sie ein gutes Bibelzitat mochte, und nun verhöhnte er sie. Es war eine Schande! Und alle die Frauen ringsum lächelten falsch und beglückt über ihre Schmach. Unfähig, auch nur einen Bissen hinunterzuschlucken, sah sie zu, wie jetzt die Buttercremetorte der Försterin die Runde machte und zur allgemeinen Zufriedenheit verzehrt wurde.
Das war nun der erste Besuch in dem von ihr geleiteten Heim! Aber noch hatte der Nachmittag erst begonnen. Sie durfte den Kopf nicht verlieren. Sie nahm sich vor, die Kinder gleich in der Küche zu versammeln und ihnen scharf die Leviten zu lesen. Das mußte helfen. Es hatte immer geholfen, und sie begriff überhaupt nicht, wie solche Dinge geschehen konnten. Sie ließ die Schalen mit dem Gebäck auftragen. Das Plaudern der Gäste wurde gelassener, der Schrecken ließ langsam nach.
»Du sollst jetzt aufstehen, die Alte will das Haus vorführen«, sagte Änne etwas später mißgelaunt zu Hubert, der mit einem Suppenlöffel die Sahneschüssel auskratzte.
»Pöh — um auch in ‘ner Ecke rumzustehen? Wenn das euer ganzes Fest ist !«
Änne zückte die Schultern. »Von mir aus. Ich steh’ jedenfalls in keiner Ecke. Wenn sie alle draußen bei den Eseln sind, lass’ ich den Braten anbrennen. Die schikaniert uns nicht noch mal. Und der doofe Chaussee hat heute nichts zu verkaufen. Steht da und macht Augen wie ‘n angestochenes Kalb und tut dabei, als ob er nichts sieht. Die können mir alle mal...«
»Bra — Braten?« Hubert verschluckte sich an einer Portion Baiserkrümel und mußte husten, weil er wie elektrisiert hochgefahren war. »Groß?«
»Zwei Meter. Lauter Angabe. Nächste Woche kriegen wir dafür jeden Tag blauen Hei...«
»Scheibenhonig«, fuhr Hubert ihr über den Mund, gleichzeitig die leere Schüssel auf den Nachttisch knallend und die Bettdecke wegschleudernd. »Gib mir meine Sachen, und dann
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