13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
und mit einem andern Mittel gezwungen wird, wieder sichtbar zu werden. Die Wissenschaft, welche diese Mittel kennt, heißt Chemie oder Scheidekunst. Sie wird bei uns mehr gepflegt als bei euch, und darum haben wir auch bessere Mittel als ihr. Wir kennen viele Arten von geheimen Schriften, welche sehr schwer zu entdecken sind; die euren aber sind so einfach, daß keine große Klugheit dazu gehört, eure unsichtbaren Worte sichtbar zu machen. Rate einmal, womit diese Worte geschrieben worden sind.“
„Sage es!“
„Mit Harn.“
„Unmöglich!“
„Wenn du mit dem Harn eines Tieres oder eines Menschen schreibst, so verschwindet die Schrift, sobald sie eingetrocknet ist. Hältst du das Papier dann über das Feuer, so werden die Züge schwarz, und du kannst sie lesen.“
„Wie lauten diese Worte?“
„Ich komme übermorgen, um zu siegen.“
„Ist dies wahr? Irrst du dich nicht?“
„Hier steht es deutlich!“
„Wohlan, so gib mir diesen Brief!“
Er ging in großer Erregung einige Male auf und ab; dann blieb er wieder vor mir stehen.
„Ist dies Verrat oder nicht, Emir?“
„Es ist Heimtücke.“
„Soll ich diesen Mutessarif vernichten? Es liegt in meiner Hand!“
„Du wirst es dann mit dem Padischah zu tun bekommen!“
„Effendi, die Russen haben ein Wort, welches lautet: ‚Der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit.‘ So ist es auch mit dem Padischah. Ich werde siegen!“
„Aber du wirst viel Blut vergießen. Sagtest du mir nicht kürzlich, daß du den Frieden liebst?“
„Ich liebe ihn, aber man soll ihn mir auch lassen! Diese Türken kamen, um uns die Freiheit, das Eigentum und das Leben zu rauben; ich habe sie dennoch geschont. Jetzt spinnt man neuen Verrat. Soll ich mich nicht wehren?“
„Du sollst dich wehren, aber nicht mit dem Säbel!“
„Womit sonst?“
„Mit diesem Brief. Tritt mit demselben vor den Mutessarif, und er wird besiegt und geschlagen sein.“
„Er wird mir einen Hinterhalt legen und mich gefangen nehmen, wenn ich morgen nach Dscherraijah gehe!“
„Wer hindert dich, dasselbe auch mit ihm zu tun? Er ist dir sicherer als du ihm, denn er hat keine Ahnung, daß du seine Absichten kennst.“
Ali Bey sah eine ganze Weile nachdenklich vor sich nieder; dann antwortete er:
„Ich werde mich mit Mir Scheik Khan besprechen. Willst du mit mir nach dem Tal Idiz reiten?“
„Ich reite mit.“
„Vorher aber will ich diese Menschen da unten unschädlich machen. Tritt nicht mit ein, sondern erwarte mich hier!“
Warum sollte ich ihn nicht in das Zelt begleiten? Seine Hand lag am Dolche, und sein Auge blickte entschlossen. Wollte er mich verhindern, eine rasche Tat zu verhüten? Ich stand wohl eine halbe Stunde allein, und während dieser Zeit hörte ich die zornigen Töne einer sehr erregten Unterhaltung. Endlich kam er wieder. Er hatte ein Papier in der Hand und gab es mir.
„Lies! Ich will hören, ob es ohne Falschheit ist.“
Es enthielt die kurze, gemessene Weisung an die befehligenden Offiziere, alle Waffen und auch die Munition sofort an diejenigen Dschesidi zu übergeben, deren Anführer diesen Befehl vorzeige.
„Es ist richtig. Aber wie hast du das erlangt?“
„Ich hätte ihn und den Makredsch sofort erschießen lassen und die Kanonade begonnen. In einer Stunde wären wir mit ihnen fertig gewesen.“
„Nun bleibt er gefangen?“
„Ja. Er wird mit dem Makredsch bewacht.“
„Und wenn sich die Seinen nicht fügen?“
„So werde ich meine Drohung wahr machen. Bleibe hier, bis ich zurückkehre, und du wirst sehen, ob mich die Türken respektieren.“
Er erteilte noch einige Befehle und stieg dann nach der Batterie hinab. In der Zeit von zehn Minuten waren alle Dschesidi kampfbereit. Die Schützen lagen mit aufgenommenen Schießgewehren in ihren Verstecken, und die Artilleristen standen zum Schuß fertig bei den Geschützen. Ihre Verschanzung öffnete sich, um gegen zweihundert Dschesidi und wohl an die dreißig Maulesel durchzulassen. Diese Tiere bestanden meist aus denen, die wir mit den Kanonieren gefangen genommen hätten. Der Zug blieb in einiger Entfernung halten, während der Anführer desselben vorschritt und den Platz aufsuchte, wo sich die Offiziere der Osmanen befanden.
Ich konnte von meinem Standpunkt aus dies alles sehr genau beobachten. Es gab eine ziemlich lange Zeit der Verhandlung. Dann jedoch traten die Soldaten in Trupps zusammen, welche einer nach dem andern bis in die Nähe der Maultiere vormarschierten, um dort die Waffen
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