13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
war nun derjenige, der den angeschnittenen Apfel zu verspeisen hatte.
„Die Wirtin ist klüger wie du, Halef! Aber gehe und hole den Mann herauf!“
Er ging und schob bald nachher einen Mann herein, dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte. Es war ein Kurde; das sah man an dem Tolik (Haarlocke über der Stirn), der ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die Stirn herabfiel; doch trug er türkische Kleidung.
„Sallam!“ grüßte er eilig. „O Herr, komm schnell, sonst stirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel redet!“
„Was fehlt ihr?“
„Sie ist von einem bösen Geist besessen, der sie umbringen wird.“
„Wer sagte das?“
„Der alte türkische Hekim, den ich holte. Er hat ihr ein Amulett umgehangen, aber er meinte, daß es nicht helfen werde.“
„Wie alt ist deine Tochter?“
„Sechzehn Jahre.“
„Leidet sie an Krämpfen oder Fallsucht?“
„Nein, sie ist niemals krank gewesen bis auf den heutigen Tag.“
„Was tut der böse Geist mit ihr?“
„Er ist ihr in den Mund gefahren, denn sie klagte, daß er ihr den Hals zerkratze; dann machte er ihr die Augen größer, damit er herausgucken könne. Ihr Mund ist rot und auch ihr Gesicht, und nun liegt sie da und redet von den Schönheiten des Himmels, in den sie blicken kann.“
Hier war schleunige Hilfe nötig, denn es lag jedenfalls eine Vergiftung vor.
„Ich will sehen, ob ich dir helfen kann. Wohnest du weit von hier?“
„Nein.“
„Gibt es außer dem alten Hekim noch einen Arzt?“
„Nein.“
„So komm schnell!“
Wir eilten fort. Er führte mich durch drei Gassen und dann in ein Haus, dessen Äußeres eine gewisse Stattlichkeit zeigte. Der Besitzer desselben konnte nicht zu den ärmeren Leuten gehören. Wir passierten zwei Zimmer und traten dann in ein drittes. Auf einem niedrigen Polster lag ein Mädchen lang ausgestreckt auf dem Rücken. An ihrer Seite knieten einige weinende Frauen, und in der Nähe hockte ein alter Mann, der seinen Turban abgenommen hatte und, gegen die Kranke gerichtet, laute Gebete murmelte.
„Bist du der Hekim?“ fragte ich ihn.
„Ja.“
„Was fehlt dieser Kranken?“
„Der Teufel ist in sie gefahren, Herr!“
„Albernheit! Wenn der Teufel in ihr steckte, würde sie nicht von dem Himmel sprechen.“
„Herr, das verstehst du nicht! Er hat ihr das Essen und Trinken verboten und sie schwindelig gemacht.“
„Laßt mich sie sehen!“
Ich schob die Weiber beiseite und kniete neben ihr nieder. Es war ein sehr schönes Mädchen.
„Herr, rette meine Tochter vom Tode“, jammerte eine der Frauen, „und wir werden dir alles geben, was wir besitzen.“
„Ja“, bestätigte der Mann, welcher mich geholt hatte. „Alles, alles sollst du haben, denn sie ist unser einziges Kind, unser Leben.“
„Rette sie“, ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund des Raumes; „so sollst du Reichtum besitzen und Gottes Liebling sein!“
Ich schaute nach dieser Gegend hin und erblickte eine alte Frau, deren Äußeres mich schaudern machte. Sie schien ihre hundert Jahre zu zählen; ihre Gestalt war tief gebeugt und bestand wohl nur aus Haut und Knochen; ihr fürchterlich hageres Gesicht machte geradezu den Eindruck eines Totenkopfes, aber von ihrem Haupt hingen schwere weiße Haarzöpfe fast bis auf den Boden herab.
„Ja, rette sie, rette mein Urenkelkind!“ wiederholte sie, indem sie bittend die gefalteten, ausgedorrten Hände erhob, von denen ein Rosenkranz herniederhing. „Ich werde niederknien und zur schmerzensreichen Mutter Gottes bitten, daß es dir gelingen möge.“
Eine Katholikin! Hier unter den Kurden und Türken!
„Bete“, antwortete ich ergriffen; „ich werde versuchen, ob hier ein Mensch noch helfen kann!“
Die Kranke lag da mit offenen, heiteren Augen; aber ihre Pupillen waren sehr erweitert. Ihr Angesicht war stark gerötet, Atem und Puls gingen schnell, und ihr Hals bewegte sich unter einem krampfhaften Würgen. Ich frug gar nicht, wann die Krankheit ausgebrochen sei; ich war Laie, aber ich hatte die Überzeugung, daß die Kranke Belladonna oder Stramonium genossen habe.
„Hat deine Tochter gebrochen?“ fragte ich den Mann.
„Nein.“
„Hast du einen Spiegel?“
„Einen kleinen hier.“
„Gib ihn her!“
Der alte Hekim lachte heiser:
„Der böse Geist soll sich im Glas besehen!“
Ich antwortete ihm gar nicht und ließ das durch die Fensteröffnung eindringende Licht der bereits niedersteigenden Sonne so auf den Spiegel fallen,
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