13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
herüber?“
„Ja.“
„Aber leise!“
Er kam.
Wir huschten über den Hof hinüber und standen nun unter dem Fensterchen, welches ich beinahe mit der Hand erreichen konnte.
„Bücke dich, Scheik, stütze dich gegen die Wand und stemme die Hände auf die Knie!“
Er tat es, und ich stieg auf seinen Rücken, welcher jetzt eine beinahe waagrechte Lage angenommen hatte. Ich stand mit dem Gesicht grad vor dem Loch des Kerkers.
„Amad el Ghandur!“ sprach ich in dasselbe hinein und hielt dann schnell das Ohr hin.
„Herr, bist du es?“ klang es hohl von unten herauf.
„Ja.“
„Ist mein Vater auch da?“
„Er ist hier. Er wird dir Speise und Licht an einer Schnur herablassen und dann mit dir sprechen. Warte; er wird gleich oben sein.“
Ich stieg von dem Rücken des Arabers herab.
„War ich schwer?“
„Lange ist es nicht auszuhalten, denn die Stellung ist zu unbequem.“
„So werden wir es jetzt anders machen, da du jedenfalls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohn reden willst: du kniest auf meine Achseln; dann kann ich aufrecht stehen und es so lange aushalten, wie es dir beliebt.“
„Hat er dich gehört?“
„Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Tasche eine Schnur, an welcher du das Paket hinablassen kannst.“
Die Schnur wurde befestigt; ich bildete mit auf dem Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den Fuß setzen konnte, und er stieg auf. Nachdem ich meine Hände an seine Knie gelegt hatte, so daß er nicht abrutschen konnte, kniete er auf meinen Achseln so sicher wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und nun begann ein leises, aber desto eifrigeres Zwiegespräch, von dem ich nur den von Mohammed Emin gesprochenen Teil vernehmen konnte. Dazwischen hinein fragte mich der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu schwer werden. Er war ein langer, starker Mann, und deshalb war es mir schon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu Boden sprang.
„Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten“, sagte er.
„Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einstweilen voran; ich will dafür sorgen, daß man am Tag keine Fußspur findet.“
„Der Boden ist hart wie Stein!“
„Vorsicht ist besser als Nachlässigkeit.“
Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer Zeit waren wir auf demselben Weg, den wir gekommen waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer des Scheik.
Er wollte nun sogleich einen Plan zur Befreiung seines Sohnes mit mir beraten; ich aber empfahl ihm, darüber zu schlafen, und schlich mich auf mein Zimmer.
Am andern Morgen besuchte ich zunächst meine Patientin; sie hatte nichts mehr zu befürchten. Die Mutter war ganz allein bei ihr, wenigstens bekam ich weiter niemand zu sehen. Sodann machte ich einen Gang durch und um die Stadt, um eine Stelle in der Mauer ausfindig zu machen, an der es möglich war, hinaus in das Freie zu gelangen, ohne das Tor passieren zu müssen. Es gab eine, aber sie war nicht für Pferde, sondern nur für Fußgänger zu passieren.
Als ich wieder nach Hause kam, hatte sich Selim Agha erst vom Lager erhoben.
„Emir, jetzt ist es Tag“, meinte er.
„Bereits schon lange“, antwortete ich.
„Oh, ich meine, daß man nun besser als gestern über unsere Sache reden kann.“
„Unsere Sache?“
„Ja, unsere. Du bist ja auch dabei gewesen. Soll ich Anzeige machen oder nicht? Was meinst du, Effendi?“
„Ich an deiner Stelle würde es unterlassen.“
„Warum?“
„Weil es besser ist, es wird gar nicht davon gesprochen, daß du während der Nacht im Gefängnis gewesen bist. Deine Leute haben jedenfalls bemerkt, daß dein Gang nicht ganz sicher war, und sie könnten dies bei ihrer Vernehmung mit in Erwähnung bringen.“
„Das ist wahr! Als ich vorhin erwachte, sah mein Anzug sehr schlimm aus, und ich habe lange reiben müssen, um den Schmutz wegzubringen. Ein Wunder, daß dies Mersinah nicht gesehen hat! Also du meinst, ich soll die Anzeige unterlassen?“
„Ja. Du kannst ja den Leuten einen Verweis geben, und deine Gnade wird sie blenden wie ein Sonnenstrahl.“
„Ja, Effendi, ich werden ihnen zunächst eine fürchterliche Rede halten!“
Seine Augen rollten wie das Luftrad einer Stubenventilation. Dann standen sie plötzlich still, und sein Gesicht nahm einen sehr sanftmütigen Ausdruck an.
„Und dann werde ich sie begnadigen, wie ein Padischah, der das Leben und das Eigentum von Millionen Menschen zu verschenken hat.“
Er wollte gehen, blieb aber unter der Tür
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