13 kleine Friesenmorde
Gretas Haar. Claas van Thun hatte die Rechnung ohne Greta gemacht. Sie ist nicht nur schön, gertenschlank, sondern auch couragiert und sportlich durchtrainiert. Sie wimmerte nicht um ihr Leben, wie anzunehmen ist, sondern reagierte kalt. Voller Hass warf sie sich ihrem Mann entgegen, entrang ihm die Pistole und rettete mit einem Schuss aus schrägem Winkel ihr Leben«, sagte der Kommissar.
»Ihben, nun mal sachte. Ihrer fantasievollen Gedankenakrobatik kann ich nicht folgen«, antwortete der Staatsanwalt. »Mord?«, fragte er verunsichert.
»Ja, ein weiterer aus Notwehr«, antwortete der Kommissar, griff nach den Fotos.
»Hier, wie bereits mit dem Kleiderbügel durchgespielt, liegt Claas von Thun wie in einem Wildwestfilm mit geöffneter Hand auf dem Bauch. Seine Fingerspitzen berühren fast die tödliche Waffe, an der das lange blonde Haar der Todesschützin klebt. Der Haarring! Hegen Sie da noch Zweifel?«
»Entsetzlich, die neue Version. Da steht den Baltrumern Ungemach ins Haus«, antwortete der Staatsanwalt.
Der Kommissar erhob sich, trat an den Eisenschrank, holte die frisch angelegte Akte hervor und legte den Ordner auf den Schreibtisch.
»Der Ihnen zugefaxte Bericht«, sagte Ihben. »Die Kollegen Behnen und Martens betraten das Wohnzimmer. Greta van Thun saß verheult auf dem Kaminmäuerchen. Sie hatte den Notruf durchgegeben und damit auf das Geschehen folgerichtig reagiert. Ihr Papa, der Pensionsbesitzer, trat erst später in Erscheinung und berichtete über die Tragödie. Nach seinen Aussagen hatte Claas van Thun die Pistole auf seine Tochter gerichtet, sie dann auf ihn angelegt. Nach seinem mutigen Einschreiten richtete der Schwiegersohn die Waffe an seine Schläfe und drückte ab.«
»Und wie wir wissen, war dem nicht so. Der Fall wird zum Fall. Sie haben mich überzeugt«, sagte der Staatsanwalt.
»Ich denke, wir machen der Witwe später einen Besuch«, sagte der Kommissar. »Greta van Thun ist mit ihren Eltern nach Baltrum gefahren. Zur Zeit feiert sie krank.«
»Und die Beisetzung ihres Mannes?«, fragte der Staatsanwalt.
»Ich habe mit den Eltern des Ingenieurs telefoniert.Greta, ihre Mama und ihr Papa haben klare Linien gezogen. Wie nach einer Scheidung. Die Beisetzung überlassen sie den Eltern des Mordschützen. Sie besuchen nicht die angesetzte Trauerfeier. Da wird kein Kranz mit Trauerschleifen der Familie Roolfs und erst recht nicht der Witwe das Grab in Wiesmoor zieren.«
»Das kann ich nachvollziehen«, sagte Brooken, trat an die Garderobe, zog den Trenchcoat über und griff nach der Elbseglermütze.
»Wenn etwas durchsickern sollte, bitte keine Kommentare«, sagte er. »Das wäre ein Fressen für die Reporter. Gönnen wir den Angehörigen eine angemessene Trauerzeit.« Er reichte dem Kommissar die Hand und verließ das Dienstzimmer.
Am Freitag, dem 8. Januar, fuhr Tina Ihben ihren Mann um 7.30 Uhr zum Revier. Sie hatte in Norden einen Zahnarzttermin. Ihre junge Kollegin war für sie eingesprungen. Tina übernahm zum Ausgleich den Nachmittagsdienst in der Bäckerei.
Tochter Antjen besuchte das Ulrichs-Gymnasium. Sie hatte nach der vierten Stunde frei. Das war eine günstige Gelegenheit kurz vor dem Winterschlussverkauf, sich im »Intersport-Geschäft« nach herabgesetzten Markenartikeln umzuschauen, denn Antjen hatte ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche.
Tina Ihben hielt vor dem Kommissariat.
Menke Ihben griff nach seiner Tasche und gab Tina einen Kuss. »Halt die Finger auf das Portmonee«, sagte er spaßig und stieg aus.
Auf dem Markt bauten die Händler ihre Stände auf.Der Wind kam frostig aus nordöstlicher Richtung. Der Himmel war leicht bewölkt.
Menke Ihben betrat das »Alte Weinhaus«, stieg die Treppe hoch und ging zu seinem Dienstzimmer. Er stellte die Tasche an den Schreibtisch, drehte die Heizung hoch, schloss den Eisenschrank auf, entnahm ihm den Aktenordner mit der Beschriftung »Randale Norddeich« und trug ihn zu seinem Schreibtisch.
Vor der Kurklinik war es bereits mehrmals zu Sachbeschädigungen gekommen, die das Haus in Verruf zu bringen drohten. Abgesehen von der Jagd auf Mercedes-Sterne hatten Rabauken Autoreifen aufgeschlitzt, willkürlich Pflanzen aus den Kübeln gerissen und Außenleuchten demoliert. Ihre Vermutungen tendierten in Richtung Schiffsanleger. Sie hatten den »Molenheizern« das Handwerk gelegt. Es waren zumeist Jugendliche der Berufsschule, die sich auf dem Parkplatz vor der Bahnstation Norddeich Mole mit ihren aufgemotzten
Weitere Kostenlose Bücher