13 kleine Friesenmorde
»am Ende des Flurs befindet sich die Bibliothek. Nehmen Sie Rücksicht auf meine Tochter. Sie ist noch nicht über den Berg.«
Der Boden war mit Bruchsteinplatten belegt, die Wände zwischen nummerierten Apartmenttüren zierten Ölgemälde mit Inselmotiven. Wandleuchten warfen Licht in den fensterlosen Flur.
»Zumindest vier Sterne«, meinte Ihben, während sie sich der Tür des Lese- und Kaminzimmers näherten.
Der Staatsanwalt klopfte an und öffnete die Tür. Der Alte und seine Tochter erhoben sich aus den Sesseln. Ihben zog die Tür hinter sich ins Schloss.
»Moin«, sagte er. »Darf ich vorstellen? Herr Brooken, Staatsanwalt.«
»Hajo Roolfs, meine Tochter Greta«, sagte der Alte freundlich.
Seine blauen Augen taxierten den Besucher. Er näherte sich dem Staatsanwalt und reichte ihm die kalte Hand entgegen. Auch Greta van Thun begrüßte den Staatsanwalt und den Kommissar.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte der Alte und wies auf die Sessel. Im Kamin loderte ein Feuer. Es war angenehm warm. Die Beamten setzten sich in die Sessel. Der Alte trug einen dunkelblauen Troyer und Jeans. Greta van Thun wirkte lässig im Trainingsanzug und ihren Laufschuhen. Ihr Gesicht zeigte keine Spuren tränenreicher Nachtstunden. Im Gegenteil, sie sah gesund und erholt aus. Sie fuhr mit der Hand über ihren Pferdeschwanz.
Die Wände zierten Regale mit Buchrücken. Seitlich des Kamins stand der Fernseher auf einer alten Truhe. Aus einem Bogenfenster fiel Licht.
»Einen Tee?«, fragte Greta van Thun und lächelte gewinnend.
»Danke, Sie müssen sich nicht bemühen, Ihre Mama bot uns bereits Tee an«, sagte der Staatsanwalt. »Wir haben einige Fragen an Sie zu richten.«
Er wandte sich dem Alten zu und machte deutlich, dass er ihn mit einbezog bei seinen Bemühungen, sich über die tatsächlichen Abläufe der Ereignisse in Berum Klarheit zu verschaffen.
»Es geht um die Schließung der Akte«, sagte er.
»Bitte«, stöhnte Greta van Thun auf, »mein Mann, der uns in das Unglück gestürzt hat, fand in Wiesmoor seine letzte Ruhe. Er hinterließ außer Kummer und Ärger eine Menge Laufereien. Behördenbürokratie! Aktenberge! Die Suche nach Belegen in ungeordneten Dokumentenmappen.«
»Es tut uns Leid, Sie mit weiterem Ungemach konfrontieren zu müssen«, sagte der Staatsanwalt mit ernstem Gesicht. »Wir hegen Zweifel an Ihrer Darstellung der schicksalhaften Ereignisse im Wohnzimmer Ihres Hauses in Berum am Müllerstück. Um diese zu beseitigen,benötigen wir von Ihnen und auch von Ihnen, Herr Roolfs, Fingerabdrücke.«
Er griff in seine Jacketttasche, entnahm ihr das kleine Stempelkissen samt eines halben postkartengroßen Kartonstreifens und reichte beides dem Kommissar. Ihben öffnete es und schob es auf den Tisch.
Greta van Thun erschrak.
»Was soll das?«, fragte der Alte erbost. Zwischen seinen schmalen, erblassten Lippen geriet für Sekunden sein Gebiss in Unordnung und klapperte vernehmlich.
»Wir haben ernst zu nehmende Argumente, die darauf schließen lassen, dass es nach den tödlichen Schüssen auf Kuno Swyters zu einem Gerangel kam«, sagte der Staatsanwalt. »Frau van Thun, bitte gestehen Sie! Sie haben geistesgegenwärtig reagiert und aus verständlichen Gründen Ihren Mann erschossen.«
Im Lese- und Kaminzimmer lag die Stille einer unbesuchten Kirche. Selbst das Knistern der brennenden Holzscheite im Kamin blieb für Sekunden ungehört.
Der Alte atmete schwer. »Das ist glatter Unfug«, sagte er erregt.
Greta van Thun blickte die Beamten mit verzerrtem Gesichtsausdruck an. »Claas ist tot! Er hat sich selbst gerichtet! Warum stören Sie meinen Frieden?«
»Ich habe gesehen, wie Claas die Pistole an seine Schläfe führte und mich das Gruseln lehrte! Es war furchtbar«, warf der Alte stotternd ein.
»Herr Roolfs, bitte, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir Sie wegen Falschaussagen belangen werden«, sagte der Kommissar einlenkend.
»Claas wollte mich erschießen, und auch Papa«, gab Greta van Thun schluchzend von sich.
»So war es wirklich!«, sagte der Alte mit zittrigerStimme. »Er zielte auf mich! Ich schrie auf. Claas blickte mich mit irren Augen an und drückte ab.«
»Ihr Schwiegersohn setzte die Waffe nicht an seine Stirn! Er wurde erschossen!«, stellte Brooken fest.
Greta van Thun weinte. Der Alte rang nach Luft. Er öffnete den Reißverschluss seines Troyers. Sein Gesicht war grau wie die Asche der im Kamin abbrennenden Scheite.
»Sie oder Ihre Tochter entfernten mit einem
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