13 kleine Friesenmorde
Telefon läutete. Er nahm den Hörer ab. »Kripo Norden, Ihben«, meldete er sich.
»Moin, Brooken. Herr Ihben, jetzt wird es ernst. Vergessen wir vorerst unser Mitgefühl. Es geht um das Prinzip. Melden Sie unseren Besuch auf Baltrum an.«
Ihben öffnete die Schublade und griff zum bereitgelegten Schiffsfahrplan.
»Am Dienstag ist die Tide günstig«, sagte der Kommissar. »Die Fähre legt um 12.30 Uhr von Nessmersiel ab. Uns würde viel Zeit bleiben. Um 19.15 Uhr legt das Schiff in Baltrum ab. Ich melde uns bei den Roolfs an und rufe zurück.«
»Der Termin passt mir. Irgendwo zu Mittag essen, eine Teestunde in einem Café. Ein Rundgang am Strand entlang in die Dünen nach dem Dienstgeschäft. Packen Sie Ihre Saunatasche, falls das Wetter nicht mitspielt«, sagte der Staatsanwalt.
»All up Stee«, sagte der Kommissar und nahm das Telefonbuch zur Hand.
Baltrum, Seite 158-160.
Er fand die Nummer der Pension »Seeschwalbe«.
Über Baltrum spannte sich der aufgelockerte Wolkenhimmel. Es regnete nicht mehr. Der Wind war böig und kalt. Ein paar Insulaner warteten mit ihren Fahrrädern und angekoppelten Anhängern auf Gäste, während der Schiffskran erste Gepäckcontainer von Bord hievte. Pferdefuhrwerke standen auf der Frachtpier. Die Kutscher saßen vermummt auf den Böcken und warteten auf die Frachtcontainer, die Baumaterialien, Lebensmittel und Getränke enthielten.
Ihben und Brooken passierten das kleine Backsteingebäude der Kurverwaltung, mit Zimmervermittlung und Schiffsmeldestelle. Seitlich lagen die verregneten Deichwiesen. Am öden Nationalparkhaus gingen sie an der Post entlang über die ansteigende Straße zum Dorfzentrum, am Wahrzeichen der Insel, einem Holzgerüst mit historischer Kirchenglocke, vorbei und sahen sich dort fragend um.
Auf Baltrum gibt es keine Straßenbezeichnungen. Die Häuser tragen Nummern, die wie willkürlich vergeben worden sein mussten. Auf einer bewachsenen Düne lag das Haus Sylvia, mit vielen Fenstern und Balkonen. Eine Treppe führte zu der Buchhandlung »Lesewurm« mit breiten Schaufenstern. Die Straßen waren wie leer gefegt. Sie bogen bei »Charly« ab, passierten das Haus des »Polizeiposten«, sahen keine Veranlassung, sich dort um eine Auskunft zu bemühen, und fanden zum Haus »Seeschwalbe«.
Das imposante Backsteingebäude mit drei Etagen, Südbalkonen und vorgelagerter Liegewiese lag nur knapp 100 Meter von der Strandpromenade entfernt. Sie hörten das Rauschen der Brecher.
»Wir sind am Ziel«, sagte Ihben.
»Aber nicht zur angemessenen Zeit. Trinken wir bei ?Charly? Tee«, schlug der Staatsanwalt vor.
Sie gingen die Straße zurück und betraten das Café. Ihnen schlug die mollige Wärme entgegen. Nur wenige Tische waren besetzt. Es waren zumeist ältere Gäste. Der Wirt stand hinter dem Tresen und schaute ihnen fragend entgegen.
»Moin, ich habe noch freie Zimmer«, sagte er geschäftstüchtig und wies auf die Sporttaschen der Beamten.
»Ich gehe davon aus, dass um diese Jahreszeit daran kein Mangel besteht«, antwortete der Staatsanwalt und folgte Ihben zu einem Tisch in der Ecke des gemütlichen Lokals, der den Blick auf das Fenster und den Tresen freiließ. Sie hängten Mantel und Jacke an die Garderobe, legten die Mützen auf die Ablage und stellten ihre Taschen in die Nische.
»Zweimal Tee ostfriesisch!«, bestellte der Staatsanwalt.
Gegen 14.30 Uhr bezahlten sie, ließen sich eine Quittung aushändigen, verließen das gemütliche Café und begaben sich zur Pension »Seeschwalbe«.
Frau Minna Roolfs öffnete ihnen die Tür, empfing sie muffelig und kalt. In ihrem faltenreichen Altengesicht mit der fleischigen Nase und den vollen Lippen lag ein abweisender Zug, als Ihben den Staatsanwalt vorstellte. Sie blickte befremdet auf die Sporttaschen.
»Meine Tochter und mein Mann erwarten Sie im Kamin- und Lesezimmer.Zur Zeit vermieten wir nicht«, sagte sie mit schleppender Stimme. Sie trug eine weiße Bluse, darüber eine dunkelblaue Strickjacke und eine ebenfalls dunkelblaue Stoffhose. Das aschgraue Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengesteckt. Sie ging ein wenig nach vorne gebeugt und zog das rechte Bein nach. Sie zeigte auf die Garderobe.
Die Beamten stellten die Taschen ab, hängten ihre Mützen über einen Haken und Jacke und Mantel über einen Bügel. Seitlich befand sich eine Sitzecke. Gegenüber führte eine Steintreppe nach oben.
Die Alte öffnete eine weiß lackierte Tür mit Glaseinsatz.
»Bitte«, sagte sie mit kalter Stimme,
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