13 - Wo kein Zeuge ist
entlang, angefeuert von der Therapeutin, die trotz der finsteren Blicke, die sie von ihrem Patienten erntete, unablässig »Herzchen« zu ihm sagte. Sie hatte in etwa die Größe eines Kanarienvogels, und Lynley fragte sich, wie sie den stämmigen Superintendent auffangen wollte, sollte er zu fallen drohen. Doch es schien, dass Webberly die Absicht hatte, nichts anderes zu tun, als das Ende der Vorrichtung zu erreichen. Als das vollbracht war, sagte er, ohne in Lynleys Richtung zu sehen: »Man sollte doch meinen, sie würden mir hier bei passender Gelegenheit eine Zigarre genehmigen, oder, Tommy? Aber unter Belohnung verstehen sie hier einen Einlauf zu Mozart-Begleitung.«
»Wie geht es Ihnen, Sir?«, fragte Lynley und trat weiter in den Raum hinein. »Haben Sie ein paar Kilo abgenommen?«
»Wollen Sie etwa sagen, ich hätt's nötig?« Webberly schaute grinsend in seine Richtung. Er war blass und unrasiert und erweckte den Anschein, als habe er sich mit dem Titanium, aus dem seine neue Hüfte bestand, noch nicht so recht angefreundet. Er trug einen Trainingsanzug anstelle eines Krankenhausnachthemdes. Die Worte »Top Cop« zierten die Jacke.
»Nur eine wertneutrale Bemerkung«, erwiderte Lynley. »In meinen Augen waren Sie immer ein Anblick, der keinerlei Revision bedurfte.«
»Was für ein Blödsinn«, grummelte Webberly, als er das Ende der Stangen erreichte und die Drehung vollführte, die notwendig war, um in den Rollstuhl zu gelangen, den die Therapeutin ihm brachte. »Ihren Beteuerungen würde ich nicht weiter trauen, als ich Sie werfen kann.«
»Tässchen Tee, Herzchen?«, fragte die Therapeutin ihn, als er saß. »Schönes Ingwerplätzchen? Das haben Sie fein gemacht.«
»Sie hält mich für einen dressierten Hund«, erklärte Webberly Lynley. An die Frau gewandt, fuhr er fort: »Bringen Sie die ganze verdammte Keksdose, vielen Dank.«
Sie lächelte seelenvoll und tätschelte ihm die Schulter. »Also: ein Tässchen Tee und ein Plätzchen. Und für Sie?«, fragte sie Lynley, der ihr versicherte, er brauche nichts. Sie verschwand in einem benachbarten Raum.
Webberly rollte zu einem Fenster hinüber, zog die Jalousie hoch und sah in den Tag hinaus. »Grässliches Wetter«, brummte er. »Ich sehne mich nach Spanien, Tommy. Der Gedanke daran ... das ist es, was mich aufrecht hält.«
»Das heißt, Sie wollen in den Ruhestand gehen?« Lynley fragte es unbeschwert, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, was er bei der Vorstellung, Superintendent Webberly würde für immer aus dem Polizeidienst ausscheiden, wirklich empfand.
Doch Webberly ließ sich von Lynleys Tonfall nicht täuschen. Er unterbrach seine Betrachtung der Aussicht und warf Lynley über die Schulter einen Blick zu. »David benimmt sich schlecht, ja? Sie müssen eine Strategie entwickeln, um mit ihm fertig zu werden. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«
Lynley trat zu ihm ans Fenster. Mürrisch schauten sie beide in den grauen Tag hinaus: nackte Äste in der Ferne, die flehend erhobenen Arme der winterlichen Bäume im Osterley Park. Unterhalb des Fensters lag der Parkplatz.
»Das kann ich, so weit es mich selbst betrifft«, antwortete Lynley.
»Mehr verlangt niemand von Ihnen.«
»Es sind die anderen, um die ich besorgt bin. Vor allem Barbara und Winston. Ich habe ihnen beiden keinen Gefallen getan, indem ich Ihre Position eingenommen habe. Es war Irrsinn, zu glauben, dass ich das könnte.«
Webberly schwieg. Lynley wusste, dass der Superintendent verstand, was er meinte. Havers Karriere bei Scotland Yard würde stagnieren, solange sie mit ihm zusammenarbeitete. Und was Nkata betraf ... Lynley wusste, jeder andere Beamte hätte es nach einer Beförderung zum Interim Superintendent besser verstanden, Winston vor Hilliers Zugriff zu bewahren. Doch Havers' Karriere schien von Tag zu Tag mehr dem Untergang geweiht, während Nkata wusste, dass er als Alibi missbraucht wurde und letzten Endes womöglich eine so große Verbitterung mit sich herumtragen würde, dass dies seinen Werdegang jahrelang beeinträchtigen könnte. Ganz gleich, wie Lynley es betrachtete, er hatte das Gefühl, dass er die Situation, in der Havers und Nkata sich derzeit befanden, zu verantworten hatte.
»Tommy«, sagte Webberly, als hätte Lynley all das laut ausgesprochen, »so viel Macht haben Sie gar nicht.«
»Wirklich nicht? Aber Sie hatten sie. Haben sie immer noch. Ich sollte in der Lage sein ...«
»Augenblick. Ich rede nicht über die Macht, ein Puffer
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