13 - Wo kein Zeuge ist
Sie, Sir. Schönen Abend. Ich hab noch zu arbeiten, ehe ich nach Hause gehen kann.«
15
Vor seinem geistigen Auge arrangierte Fu einen Körper: Er lag auf dem Boden, durch die Fesseln auf dem Brett gekreuzigt. Es war ein lautloser, aber kein lebloser Körper, und als sein Bewusstsein zurückkehrte, wurde er gewahr, dass er sich in Gegenwart einer Macht befand, der zu entfliehen er niemals hoffen konnte. Also kam die als Zorn getarnte Angst, und angesichts dieser Angst ging Fu das Herz auf. Blut strömte durch seine Muskeln, und er wuchs über sich selbst hinaus. Es war die Art von Ekstase, wie nur ein Gott sie empfinden konnte.
Nachdem er davon gekostet hatte, wollte er es wieder erleben. Jetzt, da er das Gefühl erfahren hatte, wer er wirklich war, schmetterlingsgleich hervorgebrochen aus der Puppe dessen, was er zu sein schien, konnte es nicht einfach abgelegt werden. Es war für immer.
Fu hatte versucht, so lange wie möglich an dem Gefühl festzuhalten, als der erste Junge gestorben war. Wieder und wieder hatte er sich in die Dunkelheit begeben und dort beschaulich jeden einzelnen Moment erneut durchlebt: Von Auswahl zu Richtspruch, von dort zum Geständnis, weiter zur Bestrafung und dann zur Erlösung. Und dennoch war das schiere Frohlocken dieser Erfahrung verblasst, wie alle Dinge es taten. Um es neu zu erleben, blieb ihm nichts anderes übrig, als eine neue Wahl zu treffen und zu handeln.
Er sagte sich, dass er nicht wie die anderen vor ihm war, die Schweine Brady, Sutcliffe und West. Die hatten niedere Motive gehabt. Kaltblütige Killer, die den Wehrlosen aus keinem anderen Grund auflauerten, als sich aufzuwerten. Sie hatten der Welt ihre Bedeutungslosigkeit entgegengeschrien, auf eine Art und Weise, die die Welt so bald nicht vergessen würde.
Aber bei Fu lagen die Dinge anders. Unschuldige, spielende Kinder, Straßennutten, die willkürlich aufgelesen wurden, oder Tramperinnen, die die fatale Entscheidung trafen, zu einem Ehepaar ins Auto zu steigen, waren nichts für ihn.
In der Sphäre dieser Mörder waren Besitz, Angst und Abschlachten alles. Doch Fu folgte einem völlig anderen Pfad als sie, und deshalb konnte er seinen derzeitigen Zustand so viel schwerer aushalten. Wäre er gewillt gewesen, den Schweinen zu folgen, wäre er jetzt ruhiger. Er müsste nur die Straßen durchkämmen, und in ein paar Stunden ... wieder Ekstase. Weil er so aber nicht war, suchte Fu die Dunkelheit als Vehikel der Erleichterung.
Doch als er dort war, nahm er einen Eindringling wahr. Er holte tief Luft und hielt den Atem an, seine Sinne geschärft. Er lauschte. Aber es gab keinen Zweifel daran, was sein Körper ihm sagte.
Er vertrieb das Halbdunkel. Er suchte nach Beweisen. Das Licht war schwach, wie er es bevorzugte, aber ausreichend, um ihm zu zeigen, dass es keine offensichtlichen Hinweise auf ein Eindringen gab. Und dennoch wusste er es. Er hatte gelernt, den Nervenenden in seinem Nacken zu trauen, und sie mahnten ihn zur Vorsicht.
Ein Buch lag achtlos neben einem Stuhl auf dem Boden. Das Titelblatt einer Zeitschrift war verknittert. Ein Haufen Zeitungen, unachtsam gestapelt. Worte. Worte. Worte über Worte. Sie alle plapperten, alle klagten an. Eine Made, riefen sie im Chor. Hier, hier.
Fu erkannte das Reliquiar. Das war es, was sie wollte. Denn nur durch das Reliquiar war es der Made möglich, wieder zu sprechen. Und was sie sagen würde ...
Sag mir nicht, du hast keine braune Soße gekauft, du Schlampe. Woran denkst du denn den ganzen Tag?
Liebling, bitte. Der Junge ...
Willst du mir vorschreiben ... Beweg deinen Arsch zum Laden und hol die Soße. Und lass den Jungen hier. Ich sagte, lass ihn hier. Hast du jetzt auch noch was mit den Ohren, nicht nur mit dem Kopf?
Beruhig dich, Schatz...
Als könnten der Tonfall und die Worte irgendetwas an den leisen Schritten oder der Angst im Bauch ändern, die beide zurückkehren würden, wenn er das Reliquiar oder dessen Inhalt verlöre.
Doch er konnte sehen, dass das Reliquiar da stand, wo er es zurückgelassen hatte, in seinem Versteck, das überhaupt kein versteck war. Und als er den Deckel behutsam anhob, sah er, dass der Inhalt unberührt schien. Selbst der Inhalt des Inhalts - vorsichtig vergraben, bewahrt und behütet - war so, wie er ihn hinterlassen hatte. Oder schien es zumindest.
Er ging zu dem unordentlichen Zeitungsstapel und beugte sich darüber. Doch die Zeitungen sagten nur, was er sehen konnte: Ein Mann in einem afrikanischen Gewand, eine
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