13 - Wo kein Zeuge ist
zwischen David und seinen Opfern zu sein. Ich spreche von der Macht, ihn zu ändern, irgendetwas zu tun, damit er nicht mehr der David ist, den wir kennen. Das würden Sie nämlich gerne tun, wenn Sie mal ehrlich sind. Aber er hat gegen seine eigenen Dämonen zu kämpfen, genau wie Sie. Und es gibt nichts, was Sie tun könnten, um sie für ihn zu verscheuchen.«
»Also, wie werden Sie mit ihm fertig?«
Webberly stützte die Arme auf die Fensterbank. Lynley fiel auf, dass er erheblich älter aussah als früher. Das schüttere Haar, bis vor kurzem noch jener blasse Sandton, den rotes Haar beim Ergrauen annimmt, hatte diese Metamorphose nun abgeschlossen. Tränensäcke hingen unter den Augen, und die Haut unterhalb des Kinns war faltig. Bei dem Anblick fielen Lynley Odysseus' Gedanken angesichts der eigenen Sterblichkeit ein: »Doch auch das Alter hat Geschäft und Ehre!« Er wollte es für Webberly zitieren. Alles war ihm recht, um das Unvermeidliche aufzuschieben.
»Es hängt alles mit dem Ritterstand zusammen, nehme ich an«, sagte Webberly. »Man könnte meinen, David fühle sich wohl darin. Ich glaube, er trägt ihn wie eine Rüstung, und wir wissen beide, dass Rüstungen zuallerletzt dem Wohlbefinden ihres Trägers dienen. Er wollte den Ritterschlag, und gleichzeitig wollte er ihn nicht. Er hat taktiert, um ihn zu kriegen, und damit muss er jetzt leben.«
»Mit dem Taktieren? Aber das ist es doch, was er am besten kann.«
»Nur zu wahr. Und stellen Sie sich mal vor, jemand schreibt Ihnen das auf den Grabstein. Tommy, Sie wissen das alles doch. Und wenn Sie dieses Wissen über Ihr fürchterliches Temperament stellen, werden Sie es auch schaffen, mit Hillier fertig zu werden.«
Da haben wir's wieder, dachte Lynley. Die alles beherrschende Wahrheit seines Lebens. Er hörte noch genau, was sein Vater darüber gesagt hatte, obwohl der seit fast zwanzig Jahren tot war: Dein Temperament, Tommy. Du lässt nicht nur zu, dass deine Leidenschaft dich blind macht, du lässt dich von ihr beherrschen, mein Junge.
Worum war es wohl gegangen? Ein Fußballspiel und eine hitzige Auseinandersetzung mit dem Schiedsrichter? Eine Entscheidung beim Rugby, die ihm nicht gefallen hatte? Ein Streit um ein Brettspiel mit seiner Schwester? Was? Und welche Rolle spielte das jetzt?
Aber genau das hatte sein Vater ihm ja klar machen wollen: Die blinde Leidenschaft des Augenblicks wurde bedeutungslos, sobald dieser Augenblick vorüber war. Nur er vergaß diese Tatsache wieder und wieder, was dazu führte, dass alle anderen für seine fatale Schwäche zahlen mussten. Er war Othello ohne Jago als Entschuldigung; er war Hamlet ohne den Geist. Helen hatte Recht. Hillier stellte ihm Fallen, und er tappte hinein.
Er unterdrückte ein Stöhnen. Webberly schaute ihn an. »Bestandteil dieses Jobs ist eine Lernkurve«, sagte der Superintendent sanft. »Warum erlauben Sie sich nicht einfach, ihr zu folgen?«
»Leichter gesagt als getan, wenn am Ende der Kurve jemand mit einer Streitaxt wartet.«
Webberly zuckte die Schultern. »Sie können nicht verhindern, dass David sich bewaffnet. Sie müssen die Person werden, die den Hieben ausweichen kann.«
Die Kanarienvogeltherapeutin kam zurück, die Teetasse in einer, eine Papierserviette in der anderen Hand. Darauf balancierte sie ein einzelnes Ingwerplätzchen - Webberlys Belohnung dafür, dass er den ganzen Weg an den parallelen Stangen geschafft hatte. »Hier, bitte, Herzchen«, sagte sie. »Schönes heißes Tässchen Tee mit Milch und Zucker ... Ich hab ihn so gemacht, wie Sie ihn gern haben.«
»Ich hasse Tee«, eröffnete Webberly ihr, als er Tasse und Keks in Empfang nahm.
»Oh, jetzt trinken Sie schon«, antwortete sie. »Sie sind sehr unartig heute Morgen. Liegt das an Ihrem Besucher?« Sie tätschelte ihm die Schulter. »Nun, es ist schön, zu sehen, dass wieder Leben in Ihnen steckt. Aber hören Sie auf, mich auf den Arm zu nehmen, Herzchen, oder es gibt was.«
»Sie sind der Grund, warum ich mich bemühe, so schnell wie möglich hier rauszukommen«, sagte Webberly.
»Genau das ist meine Absicht«, antwortete sie liebenswürdig. Sie winkte ihm zu, ging hinaus und nahm sein Krankenblatt mit.
»Sie haben Hillier, ich hab sie«, grummelte Webberly und biss in sein Plätzchen.
»Aber wenigstens bietet sie Erfrischungen an«, erwiderte Lynley.
Der Besuch in Osterley brachte keinerlei Lösung, aber Helens Rezept wirkte so, wie sie beabsichtigt hatte: Als Lynley sich von Webberly in dessen
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