13 - Wo kein Zeuge ist
der Hauswirtschaftslehrer ihm gegeben hatte. Ulrike beschloss, mit ihm anzufangen. Was, zum Henker, wusste sie eigentlich über Robbie, abgesehen davon, dass er vor langer Zeit einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten war? Voyeurismus lautete der Eintrag in seinem polizeilichen Führungszeugnis, das jeder vorlegen musste, der mit Jugendlichen arbeiten wollte. Sie hatte ihn trotzdem als Ehrenamtler genommen, denn sie konnten ihn gut gebrauchen, da ehrenamtliche Mitarbeiter nicht auf den Bäumen wuchsen. Menschen veränderten sich, hatte sie sich damals gesagt. Doch jetzt betrachtete sie ihn mit kritischerem Blick, und ihr fiel auf, dass er eine Baseballkappe trug - genau wie der Mann auf dem Phantombild des Serienmörders.
O mein Gott, dachte sie. Wenn sie diejenige war, die einen Mörder ins Team geholt hatte ...
Doch wenn sie wusste, wie das Phantombild aussah, weil sie es im Evening Standard und bei Crimewatch im Fernsehen gesehen hatte, war dann nicht davon auszugehen, dass auch Robbie Kilfoyle es wusste? Und wenn er es wusste und der Mörder war, warum, in aller Welt, sollte er dann hier mit dieser EuroDisney-Kappe aufkreuzen? Es sei denn, er trug sie, weil er wusste, wie merkwürdig es wirken würde, wenn er sie unmittelbar nach der Ausstrahlung von Crimewatch nicht mehr trug. Oder vielleicht war er der Mörder und davon überzeugt, dass er nicht geschnappt würde, dass er mit der EuroDisney-Kappe vor ihr und allen anderen erschien, so wie man ein rotes Tuch vor einem Bullen schwenkte ... Oder aber, er war einfach unglaublich dämlich ... oder hatte keinen Fernseher und las keine Zeitungen ... oder ... Gott ... Gott ...
»Stimmt was nicht, Ulrike?«
Seine Frage zwang sie, sich zusammenzunehmen. Der Schmerz in ihren Zähnen war in ihre Brust gewandert.
Wieder das Herz. Sie musste sich mal gründlich untersuchen lassen, von Kopf bis Fuß.
Sie sagte: »Entschuldige. Hab ich dich angestarrt?«
»Na ja ... Schon.« Er stellte Rührschüsseln in gewissen Abständen auf die Arbeitsplatte, sodass jeder Kochschüler reichlich Platz hatte. »Sie machen heute Yorkshire Pudding«, erklärte er und wies auf die Liste, die er an ein Korkbrett gleich über der Spüle geheftet hatte. »Meine Mum hat jeden Sonntag Yorkshire Pudding gemacht. Deine auch?«
Ulrike ließ sich auf seine Gesprächseröffnung ein. »Ich kannte diesen Pudding überhaupt nicht, bis wir nach England gekommen sind. In Südafrika hat Mum ihn nie gemacht. Ich weiß nicht, wieso.«
»Auch kein Roastbeef?«
»Ich kann mich nicht richtig erinnern. Wahrscheinlich nicht. Kann ich dir vielleicht helfen?«
Er schaute sich um. Ihr Angebot schien ihn misstrauisch zu machen, was sie verstand, hatte sie ein solches Angebot doch bisher noch nie gemacht. Sie hatte sich noch nicht einmal mit ihm unterhalten - richtig unterhalten -, abgesehen von seinem Bewerbungsgespräch. Sie nahm sich vor, in Zukunft mit jedem Mitarbeiter wenigstens ein Mal am Tag zu sprechen.
»Es ist nicht mehr viel zu tun«, antwortete er, »aber ich denke, ich hätte nichts gegen ein bisschen Konversation.«
Sie ging zu der Korkpinnwand und las seine Liste: Eier und Mehl, Öl, Töpfe, Salz. Man musste wirklich kein Kochgenie sein, um einen Yorkshire Pudding zu machen. Sie nahm sich vor, mit dem Lehrer darüber zu sprechen, den Jugendlichen mehr Herausforderung zu bieten.
Sie zermarterte sich das Hirn auf der Suche nach irgendetwas, das sie über Robbie wusste, abgesehen davon, dass er einmal ein Spanner gewesen war. »Was macht dein Job?«, fragte sie.
Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Sandwiches ausliefern, meinst du? Es sichert meinen Lebensunterhalt. Na ja«, schränkte er mit einem Lächeln ein, »jedenfalls beinah. Offen gestanden, könnte ich etwas Besseres gebrauchen.«
Ulrike fasste dies als Hinweis auf. Er wollte einen festen Job bei Colossus, einen bezahlten Job. Daraus konnte sie ihm kaum einen Vorwurf machen.
Robbie schien ihre Gedanken zu erraten. Er war dabei, Mehl aus einer Tüte in eine große Plastikschüssel zu schütten, doch nun hielt er inne. »Ich kann ein richtiger Teamworker sein, Ulrike«, sagte er. »Ich brauche nur eine Chance.«
»Ja. Ich weiß, dass du das möchtest. Es wird erwogen. Wenn wir die Filiale in Nordlondon eröffnen, stehst du ganz oben auf der Liste für einen Job als Einstufungsleiter.«
»Du nimmst mich doch nicht auf den Arm, oder?«
»Warum sollte ich das tun?«
Er stellte die Mehltüte auf die Arbeitsplatte. »Hör mal,
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