13 - Wo kein Zeuge ist
denkbar, dass er in einem Ihrer Zimmer ermordet wurde.«
»Nein, nein!« Das Englisch des Neffen verbesserte sich in wundersamer Weise. »Nicht mit dem Albino. Mit andere Mann. Ich hab gesehen.« Er wandte sich an seinen mutmaßlichen Onkel, und sie redeten eine Weile in ihrer Sprache.
Tatlises übersetzte: Der Junge auf dem Foto war mit dem Albino gekommen und in Zimmer neununddreißig hinaufgegangen, das ein anderer Mann zuvor bezogen hatte. Mit diesem zweiten Mann war der Junge einige Stunden später gegangen. Nein, er hatte nicht den Eindruck gemacht, als ginge es ihm schlecht, als sei er betrunken oder stünde unter Drogen, obwohl Ibrahim Sel^uk ihn nicht genauer angeschaut hatte, um bei der Wahrheit zu bleiben. Dazu hatte kein Grund bestanden. Es war nicht das erste Mal, dass ein Junge mit dem Albino-Mann gekommen und mit einem anderen weggegangen war.
Der Nachtportier fügte hinzu, dass die Jungen und die Männer, die das Zimmer buchten, immer andere waren, doch der Mann, der sie zusammenführte, immer derselbe: der Albino auf dem Foto, das die Beamten ihm gezeigt hatten.
»Das ist alles, was er weiß«, schloss Tatlises.
Barbara zeigte dem Nachtportier wieder die Phantombilder. War der Mann, der das Zimmer gebucht hatte, einer von diesen beiden?, wollte sie wissen.
Sel^uk betrachtete sie und entschied sich für den jüngeren der beiden. »Vielleicht«, sagte er. »Ist ein bisschen ähnlich.«
Damit hatten sie die Bestätigung, die sie brauchten: Minshall sagte offenbar die Wahrheit, so weit es das Canterbury Hotel betraf. Also bestand die schwache Hoffnung, dass im Hotel selbst mehr verborgen lag, das es zu enthüllen galt. Lynley bat, Zimmer neununddreißig sehen zu dürfen.
»Da ist nichts«, versicherte Tatlises hastig. »Es ist gründlich gereinigt worden. Wie jedes Zimmer, nachdem es benutzt wurde.«
Lynley bestand jedoch darauf, also gingen sie ein Stockwerk tiefer und ließen Sel^uk ins Bett zurückkehren. Tatlises zog einen Generalschlüssel aus der Tasche und schloss Lynley und Havers das Zimmer auf, in dem Davey Benton seinen Mörder getroffen hatte.
Es war ein trostloses Kämmerchen: Ein Doppelbett stand in der Mitte, bedeckt mit einem wild geblümten Quilt von der Sorte, die alles Denkbare an menschlichen Missetaten verdeckte, von verschütteter Flüssigkeit bis hin zu ausgetretenen Körpersäften. An einer Wand stand eine Kommode aus hellem Holz, die gleichzeitig als Schreibtisch diente. Ein Stuhl, der nicht dazu passte, war darunter geschoben. Obendrauf stand ein Plastiktablett mit den typischen Teeutensilien, bestehend aus einer schmierigen Blechkanne und einem noch schmierigeren Wasserkocher. Schlaffe Vorhänge verdeckten das einzelne Sprossenfenster, und der braune Teppichboden war mit Schlieren und Flecken übersät.
»Das Savoy muss sich angesichts dieser Konkurrenz Sorgen machen«, bemerkte Barbara.
Lynley erwiderte: »Wir brauchen die Spurensicherung. Ich will, dass sie hier alles auseinander nimmt.«
Tatlises protestierte. »Dieses Zimmer wurde gesäubert. Sie werden nichts finden. Und nichts ist hier vorgefallen, das ...«
Lynley fuhr zu ihm herum. »Ihre Meinung ist zum jetzigen Zeitpunkt von keinerlei Interesse«, unterbrach er. »Und ich schlage vor, Sie behalten sie lieber für sich.« Und an Barbara gewandt: »Rufen Sie die Spurensicherung an. Bleiben Sie in diesem Zimmer, bis das KTU-Team eintrifft. Dann besorgen Sie sich das Anmeldeformular, das für dieses ...« Er schien nach einem Wort zu suchen. »Für diese Kammer ausgefüllt wurde, und notieren die Adresse. Informieren Sie Earls Court Road über alles, was hier vorgeht, sofern die Kollegen nicht längst Bescheid wissen. Reden Sie mit dem Chief Super, mit niemandem darunter.«
Barbara nickte. Sie spürte Euphorie in sich aufsteigen, sowohl über die Fortschritte, die sie machten, als auch über die Verantwortung, die Lynley ihr übertrug. Es war fast wie in alten Zeiten.
»In Ordnung. Wird gemacht, Sir«, sagte sie und zückte ihr Handy, während er Tatlises aus dem Zimmer führte.
Lynley stand vor dem Hotel. Er versuchte, das Gefühl abzuschütteln, dass sie blind die Fäuste gegen einen Feind hoben, der geschickter darin war, ihnen auszuweichen, als sie darin waren, ihn zu Fall zu bringen.
Er rief in Chelsea an. St. James hatte inzwischen reichlich Zeit gehabt, die neuen Berichte zu lesen und zu bewerten, die Lynley zur Cheyne Row geschickt hatte. Vielleicht hatte er etwas entdeckt, das Anlass zu
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