13 - Wo kein Zeuge ist
wirklich passiert ist. Denn hätte es sich zugetragen und wäre es etwas Außergewöhnliches gewesen, dann hätte Pearl reagiert. Herrgott, Sie haben doch gesehen, wie sie sich bei Ihrer Ankunft verhalten hat.«
»Benimmt sie sich immer so, wenn jemand an die Tür klopft?«
»Unter gewissen Umständen.«
»Was für Umstände?«
»Wenn sie nicht weiß, wer draußen steht.«
»Und wenn sie es weiß? Wenn sie eine Stimme hört oder einen Geruch wahrnimmt, die sie erkennt?«
»Dann gibt sie keinen Laut von sich. Darum war ihr Gebell um Viertel vor vier morgens so ungewöhnlich, verstehen Sie.«
»Denn wenn sie nicht bellt, heißt es, dass sie das kennt, was sie sieht, hört oder riecht?«
»So ist es«, antwortete Pears. »Aber mir ist nicht so recht klar, was das mit Ihrer Ermittlung zu tun hat, Constable Havers.«
»Das ist nicht weiter schlimm, Mr. Pears«, erwiderte Barbara. »Hauptsache ist, ich weiß es.«
27
Letzten Endes beschloss Ulrike, weiterzumachen. Ihr blieb kaum etwas anderes übrig. Als sie von der Brick Lane zurückgekommen war, hatte Jack Veness ihr die Telefonnotiz von Patrick Bensley überreicht, dem Vorsitzenden des Stiftungsrates. Mit einem wissenden Grinsen hatte er gesagt: »Hattest du ein erfolgreiches Treffen mit dem Präsidenten?«, während er ihr den Zettel reichte, und sie hatte geantwortet: »Ja, es lief gut«, ehe sie den Blick auf die Notiz über den Anruf des Mannes senkte, den sie für ihre Abwesenheit von Colossus als Alibi vorgeschoben hatte.
Sie unternahm keinen Versuch, sich herauszureden. Sie war zu sehr damit beschäftigt, die Informationen zu verarbeiten, die sie von Arabella Strong bekommen hatte. Sie konnte sich keine Ausrede für Jack überlegen, warum Mr. Bensley angerufen haben sollte, während sie angeblich in einer Besprechung mit ihm war. Also steckte sie den Zettel einfach in die Tasche und schaute Jack an. »Sonst noch was?«, fragte sie und musste ein weiteres, unerträgliches Grinsen erdulden. Absolut nichts, erklärte er.
Also beschloss sie, dass sie weitermachen würde, ganz gleich, welchen Eindruck das bei der Polizei hinterließ und ganz gleich, wie die Ermittler reagieren würden, wenn sie ihnen ihre Erkenntnisse vorlegte. Sie hatte immer noch die Hoffnung, dass Scotland Yard nach dem Grundsatz quid pro quo verfahren und jede Erwähnung von Colossus in der Presse verhindern würde. Aber es machte letztlich keinen Unterschied, ob sie das taten oder nicht, denn jetzt musste sie so oder so beenden, was sie begonnen hatte. Das war der einzige Weg, um ihren Besuch bei Griffin Strong zu Hause zu rechtfertigen, sollte der Stiftungsrat je Wind davon bekommen.
Was Griff selbst betraf und Arabellas Schwur, für ihn zu lügen - Ulrike wollte jetzt nicht darüber nachdenken, und Jacks Reaktion lieferte ihr einen Grund, das nicht zu tun. Er hatte sich auf Platz eins ihrer Liste katapultiert.
Als sie Colossus später zum zweiten Mal an diesem Tag verließ, nannte sie keinen Grund. Sie ging zu ihrem Fahrrad und fuhr die New Kent Road entlang. Jack wohnte am Grange Walk, der von der Tower Bridge Road abzweigte, keine zehn Fahrradminuten von Elephant and Castle entfernt. Es war eine schmale Einbahnstraße auf der anderen Seite vom Bermondsey Square. Auf der einen Seite erhob sich eine neuere Wohnsiedlung, während die andere Seite von Reihenhäusern gesäumt war, die vermutlich seit dem achtzehnten Jahrhundert hier standen.
Jack wohnte in einem dieser Häuser: Nummer 9, ein Gebäude, das sich durch ausgefallene Fensterläden auszeichnete. Sie waren blau lackiert, passend zum Fachwerk der rußbedeckten Fassade, und hatten herzförmige Öffnungen, damit das Licht hindurchfallen konnte, wenn sie geschlossen waren. Jetzt waren sie geöffnet, und in den Fenstern sah man Spitzengardinen, die mehrere Lagen dick zu sein schienen.
Es gab keine Klingel, darum benutzte Ulrike den Türklopfer, der die Form einer alten Filmkamera hatte. Um den Lärm von der Tower Bridge Road zu übertönen, klopfte sie energisch. Als niemand reagierte, beugte sie sich zu dem Messingbriefschlitz auf der Mitte der Tür herab, hob die Klappe und spähte ins Innere des Hauses. Sie sah eine alte Dame vorsichtig die Treppe herabkommen, mit beiden Händen am Geländer, stellte sie jeweils beide Füße auf jede Stufe.
Die Dame sah Ulrike offenbar durch den Briefschlitz schauen, denn sie rief: »Ich muss doch sehr bitten!«, gefolgt von: »Meines Wissens ist dies ein Privathaus, wer immer Sie auch
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