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13 - Wo kein Zeuge ist

13 - Wo kein Zeuge ist

Titel: 13 - Wo kein Zeuge ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sprechen wir mit den Menschen, die ihn am besten kennen.«
    »Wie kommen Sie darauf, dass ich ihn besser kenne als Sie?«
    »Nun, er wohnt doch hier ... Es ist nur der Ausgangspunkt, verstehen Sie?«
    Miss A.-W. betrachtete Ulrike mit den schärfsten Augen, die sie je gesehen hatte. Dies war eine Dame, die so ziemlich alles mitgemacht hatte, nahm sie an. Die belogen, betrogen, bestohlen worden war oder was auch immer. Es musste damit zusammenhängen, dass sie fürs britische Fernsehen gearbeitet hatte, Brutstätte der notorisch Skrupellosen. Nur Hollywood galt als noch schlimmer.
    Die alte Dame rauchte weiter und beobachtete Ulrike. Die Stille machte ihr offenbar überhaupt nichts aus. Schließlich fragte sie: »Welche Art?«
    »Entschuldigung?«
    »Wofür entschuldigen Sie sich?«, entgegnete sie. »Welche Art von Beförderung?«
    Ulrike dachte fieberhaft nach. »Wir eröffnen eine zweite Niederlassung in Nordlondon. Vielleicht hat er Ihnen davon erzählt. Dort hätten wir Jack gern als Einstufungsleiter.«
    »Tatsächlich? Nun, das ist nicht das, was er will. Er würde gern als Streetworker arbeiten, und ich nehme an, das wissen Sie, wenn Sie mit ihm gesprochen haben.«
    »Nun ja ...« Ulrike improvisierte. »Es gibt eine gewisse Hierarchie, wie Jack zweifellos erwähnt hat. Wir setzen unsere Mitarbeiter gern da ein, wo wir denken, dass sie ...
    nun, aufblühen, könnte man wohl sagen. Jack wird es im Laufe der Zeit sicher zum Streetworker bringen, aber im Moment ...« Sie machte eine vage Geste.
    Miss A.-W. sagte: »Er wird nicht entzückt sein, wenn er das hört. So ist er eben. Er fühlt sich immer verfolgt. Nun ja, seine Mutter hat nicht gerade viel getan, um daran etwas zu ändern, nicht wahr? Aber warum könnt ihr jungen Leute euch nicht einfach auf den Hosenboden setzen, statt zu jammern, wenn ihr nicht immer sofort das bekommt, was ihr wollt? Das wüsste ich wirklich zu gerne.« Sie schnippte Asche in ihre hohle Hand und verrieb sie dann auf der Lehne ihres Schaukelstuhls. »Was macht denn so ein Einstufungsleiter?«
    Ulrike beschrieb die Aufgaben, und Miss A.-W. erkannte sofort, was das Relevante war: »Junge Leute?«, fragte sie. »Er soll mit ihnen arbeiten, um ihr Vertrauen zu gewinnen? Das ist nicht gerade Jacks Kragenweite. Ich rate Ihnen, einen anderen Ihrer Angestellten für diese Position auszusuchen, aber wenn Sie ihm erzählen, dass ich das gesagt habe, werde ich Sie eine verdammte Lügnerin nennen.«
    »Warum?«, fragte Ulrike, vielleicht eine Spur zu hastig. »Was würde er tun, wenn er wüsste, dass wir uns unterhalten haben?«
    Miss A.-W. zog an ihrer Zigarette und stieß den Rauch aus, der nicht an ihrer zweifellos geschwärzten Lunge haften blieb. Ulrike bemühte sich, nicht zu tief zu atmen. Die alte Dame schien ihre Worte genau abzuwägen, denn sie schwieg einen Moment, ehe sie antwortete: »Er kann ein guter Junge sein, wenn er sich darauf konzentriert, aber in der Regel konzentriert er sich auf andere Dinge.«
    »Zum Beispiel?«
    »Auf sich selbst, zum Beispiel. Seinen Platz im Leben. Wie jeder andere auch in seinem Alter.« Miss A.-W. gestikulierte mit der Zigarette, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Junge Leute sind Jammerlappen, Missy, und das beschreibt Jack mit einem treffenden Wort. Wenn man ihn reden hört, könnte man meinen, er sei das einzige Kind auf der Welt, das ohne Vater aufwachsen musste. Und mit einer flatterhaften Mutter, die seit der Geburt des Jungen alle naselang einen neuen Freund hatte. Oder schon vorher, um genau zu sein. Schon pränatal hat Jack sich wahrscheinlich anhören müssen, wie sie versuchte, sich an den Namen des letzten Kerls, mit dem sie geschlafen hat, zu erinnern. Also wie kann es da überraschen, dass er missraten ist?«
    »Missraten?«
    »Kommen Sie. Sie wissen doch genau, was er war. Er ist aus der Besserungsanstalt zu Colossus gekommen, Herrgott noch mal. Min - das ist seine Mutter - glaubt, es habe damit zu tun, dass sie sich nie sicher war, welcher ihrer Liebhaber sein Vater war. Sie sagt: ›Warum kann der Junge es nicht einfach hinnehmen? Das tu ich doch auch.‹ Aber das ist typisch für Min: Sie gibt allen anderen die Schuld für alles Mögliche, ehe sie sich mal genau im Spiegel anguckt. Ihr ganzes Leben lang ist sie den Männern nachgelaufen, und Jack läuft eben Schwierigkeiten hinterher. Als er vierzehn war, wurde Min nicht mehr mit ihm fertig. Ihre Mutter wollte ihn nicht, also haben sie ihn zu mir geschickt. Bis zu diesem

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