13 - Wo kein Zeuge ist
Sie haben das zu verantworten. Und es gibt keine Möglichkeit ...«
»Schluss jetzt. Schluss. Sie sind von Sinnen vor Kummer. Sie sollten nichts sagen oder tun ... Sie würden es bedauern ...«
»Was, in aller Welt, sollte ich noch zu bedauern haben?« Seine Stimme brach, und er verabscheute dieses Brechen und wie es offenbarte, was er geworden war: Er war kein Mensch mehr, sondern eher so etwas wie ein Wurm, Salz und Wasser ausgesetzt, der sich windet, windet, weil dies hier das Ende war, dies war gewiss das Ende, und er hatte nicht erwartet.-.
Er konnte nicht anders, als sich auf Hillier zu stürzen. Er musste ihn kriegen, ihn packen, ihn zwingen ... irgendwo ...
Starke Arme umklammerten ihn. Sie kamen von hinten, also war es nicht Hillier. Lynley hörte eine Stimme an seinem Ohr.
»O Jesus, Mann. Sie müssen hier raus. Sie müssen mit mir kommen. Nur die Ruhe, Mann. Nur die Ruhe.«
Winston Nkata, dachte er. Woher war er gekommen? War er die ganze Zeit unbemerkt hinter ihm gewesen?
»Schaffen Sie ihn raus«, sagte Hillier, der sich mit einer zitternden Hand ein Taschentuch vors Gesicht drückte.
Lynley sah den Detective Sergeant an. Nkata schien hinter einem schimmernden Schleier zu stehen. Trotzdem konnte Lynley sein Gesicht in dem Moment erkennen, bevor er die Arme um ihn schlang.
»Kommen Sie mit, Chef«, murmelte Winston. »Kommen Sie.«
30
Es war später Nachmittag, als Ulrike sich über ihr weiteres Vorgehen im Klaren war, denn sie hatte bei ihrer Begegnung mit Jack Veness' Tante in Bermondsey gelernt, dass Lügengeschichten ihren Absichten nicht dienlich waren. Sie begann mit der Datenliste, die sie von New Scotland Yard bekommen hatte. Sie nahm die Liste als Ausgangspunkt und erstellte eine Tabelle mit den Daten, den Namen der Opfer und denen der potenziellen Verdächtigen, die die Polizei ins Visier genommen hatte. Sie ließ reichlich Raum, um relevante Fakten hinzuzufügen, die über die Personen, die ihr fragwürdig erschienen, bekannt werden könnten.
10. September, schrieb sie als Erstes, Anton Reid.
20. Oktober, kam danach. Jared Salvatore.
25. November, war die nächste Spalte. Dennis Butcher.
Und dann schneller:
10. Dezember: Kimmo Thorne.
18. Dezember: Sean Lavery.
8. Januar: Davey Benton, der, Gott sei Dank, keiner ihrer Jungen war. Das galt im Übrigen auch für die Frau des Superintendent, und das musste doch etwas zu bedeuten haben, oder?
Aber was es vermutlich bedeutete, war, dass ein Mörder seinen Radius erweiterte, weil Colossus ihm zu heiß geworden war. Das war zumindest eine Möglichkeit, die sie nicht außer Acht lassen konnte, denn sonst konnte das den Anschein erwecken, als wolle sie den Verdacht in eine andere Richtung lenken. Was sie natürlich auch wollte. Aber es durfte nicht so aussehen.
Sie sah ein, dass es völlig lächerlich gewesen war, vorzugeben, sie wolle Mary Alice Atkins-Ward auf den Zahn fühlen, um herauszufinden, ob Jack Veness für eine Beförderung in eine verantwortungsvollere Position bei Colossus geeignet sei. Sie konnte sich überhaupt nicht erklären, wie sie auf solch eine Idee gekommen war, und sie verstand, warum Miss A.-W. sie durchschaut hatte. Also entschied sie sich jetzt für die direkte Konfrontation, und sie musste mit Neil Greenham beginnen, dem Einzigen, der einen Anwalt eingeschaltet hatte. Sie beschloss, Neil in der Klasse aufzusuchen, denn ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass er noch beim Unterricht war und den Kids dort die individuelle Hilfe zuteil werden ließ, für die er bekannt war.
Neil hatte eine Verabredung mit einem schwarzen Jungen, dessen Name ihr entfallen war. Stirnrunzelnd schaute sie ihnen zu und hörte Neil irgendetwas über die unregelmäßige Anwesenheit des Jungen sagen. Mark nannte er ihn.
Mark Connor, dachte sie. Das Jugendgericht in Lambeth hatte ihn hergeschickt, nachdem er einen Straßenraub mit sehr ernsten Folgen begangen hatte: Er hatte eine alte Dame umgestoßen, die sich die Hüfte gebrochen hatte. Exakt der Typ, für dessen Errettung Colossus gedacht war.
Ulrike sah Neil eine Hand auf die schmale Schulter des Jungen legen. Sie sah Mark zurückzucken. Augenblicklich war ihr Argwohn geweckt.
Sie sagte: »Neil, kann ich dich kurz sprechen?«, und war bemüht, seine Reaktion genauestens zu beobachten. Sie hielt Ausschau nach Signalen, die sie interpretieren konnte, aber er schien darauf bedacht, ihr keine zu geben.
»Lass mich das hier eben zu Ende bringen«, erwiderte er. »Ich komme sofort.
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