13 - Wo kein Zeuge ist
Dein Büro?«
»In Ordnung.« Sie hätte es vorgezogen, sich hier auf seinem Territorium mit ihm auseinander zu setzen, aber ihr Büro war ihr auch recht. Sie ging.
Er kam exakt fünfzehn Minuten später, eine Tasse Tee in der Hand. »Ich hab gar nicht daran gedacht, dich zu fragen, ob du vielleicht auch ...?« Er wies auf seine Tasse.
Das schien einen Waffenstillstand zwischen ihnen zu signalisieren. »Nein danke, Neil«, antwortete sie. »Im Moment nicht. Komm rein und setz dich.«
Während er Platz nahm, stand sie auf und schloss die Tür. Als sie an den Schreibtisch zurückkam, zog er eine Braue in die Höhe. »Sonderbehandlung?«, fragte er und trank geräuschlos von seinem Darjeeling oder was immer es war. Natürlich trank er geräuschlos. Neil Greenham gehörte nicht zu den Leuten, die schlürften. »Sollte ich geschmeichelt oder gewarnt sein durch diese ungewohnte Aufmerksamkeit?«
Ulrike ging nicht darauf ein. Sie suchte nach einer passenden Eröffnung für das Gespräch, das sie mit Neil führen musste, und entschied, immer das Ziel im Auge zu behalten, ganz gleich, wo sie begann. Und dieses Ziel war Kooperation. Die Zeiten, da sie Schutzwälle gegen die Polizeiermittlungen errichtet hatte, waren lange vorbei.
»Es wird Zeit, dass wir reden, Neil«, sagte sie. »Die Eröffnung unserer Filiale in Nordlondon rückt näher. Das weißt du, nicht wahr?«
»Wie sollte ich nicht.« Er sah sie über den Rand seiner Tasse hinweg unverwandt an. Seine Augen waren blau. Es lag etwas Eisiges darin, das ihr noch nie aufgefallen war.
»Wir brauchen jemanden, der bereits für die Organisation arbeitet, um diese Filiale zu leiten. Weißt du das auch?«
Er zuckte unverbindlich die Schultern. »Das liegt nahe. Jemand, der hier schon Erfahrung hat, braucht keine große Einarbeitung, oder?«
»Zum einen das, ja, und es ist ein gutes Argument. Aber es geht auch um Loyalität.«
»Loyalität.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er klang versonnen.
»Ja. Natürlich werden wir uns nach jemandem umschauen, dessen Loyalität zuallererst Colossus gehört. So muss es sein. Wir haben Feinde da draußen, und es mit ihnen aufzunehmen, erfordert nicht nur eine präzise kognitive Analyse, sondern auch Kampfgeist. Ich nehme an, du weißt, was ich meine.«
Er ließ sich mit seiner Antwort Zeit, griff nach seiner Teetasse und genehmigte sich einen nachdenklichen - und leisen - Schluck. Dann sagte er: »Genau genommen: nein.«
»Was?«
»Ich weiß nicht, was du meinst. Nicht dass ich nicht in der Lage wäre, den Ausdruck präzise kognitive Analyse zu verstehen. Es ist eher die Sache mit dem Kampfgeist, die mich verwirrt.«
Sie lachte sanft und ließ es so klingen, als lache sie über sich selbst. »Tut mir Leid. Ich hatte das Bild eines Kriegers vor Augen, der sein Heim, Frau und Kind verlässt, um in die Schlacht zu ziehen. Die Bereitschaft des Kriegers, persönliche Belange zurückzustellen, wenn eine Schlacht ausgetragen werden muss. Die Interessen von Colossus in Nordlondon müssen für den Leiter der Niederlassung an erster Stelle stehen.«
»Und in Südlondon?«, fragte Neil.
»Was?«
»Was ist mit den Belangen von Colossus in Südlondon, Ulrike?«
»Der Leiter in Nordlondon wird für die Niederlassung hier nicht verantwortlich ...«
»Das war es nicht, was ich meinte. Ich habe mich nur gefragt, ob die Art und Weise, wie Colossus in Südlondon geleitet wird, ein Vorbild für Nordlondon sein soll.«
Ulrike schaute ihn an. Er sah ganz friedfertig aus. Neil war ihr immer ein bisschen schwammig vorgekommen, doch jetzt hatte sie den Eindruck, dass das, was sich unter der weichen, jungenhaften Oberfläche verbarg, hart wie Feuerstein war. Und nicht nur der Feuerstein seiner unbeherrschten Wut, die ihn seinen einstigen Lehrerposten gekostet hatte, sondern noch etwas anderes. »Warum sagst du nicht ein wenig direkter, was du meinst?«, fragte sie.
»Mir war nicht bewusst, dass ich indirekt spreche«, erwiderte Neil. »Tut mir Leid. Ich schätze, was ich meine, ist, dass mir all dies ein wenig heuchlerisch vorkommt.«
»Was genau?«
»All dieses Gerede über Loyalität und die Belange von Colossus, die an erster Stelle stehen müssen. Ich bin ...« Er zögerte, aber Ulrike wusste, dass die Pause nur die Wirkung seiner Worte unterstreichen sollte. »Unter anderen Umständen wäre ich entzückt, diese Unterhaltung mit dir zu führen. Es würde mir schmeicheln, dass du erwägst, mich als Leiter der Niederlassung
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