13 - Wo kein Zeuge ist
Situation in die Länge.«
Seine Mutter hob die Hand und liebkoste sein Gesicht. »Von meinen Kindern warst du immer derjenige, der am härtesten zu sich selbst war«, sagte sie. »Du hast immer nach dem richtigen Weg gesucht, dich zu verhalten, hast so sehr befürchtet, einen Fehler zu machen. Aber es gibt keine Fehler, Liebling. Es gibt nur unsere Wünsche, unser Verhalten und die Konsequenzen, die daraus folgen. Es gibt nur Ereignisse und wie wir mit ihnen fertig werden und was wir daraus lernen.«
»Das ist zu einfach«, widersprach er.
»Ganz im Gegenteil. Es ist furchtbar schwierig.«
Dann hatte sie ihn allein gelassen, und er war zu Helen gegangen. Er saß an ihrem Bett. Er wusste, ganz gleich, wie sehr er sich bemühte: Das Bild seiner Frau, wie sie jetzt war, würde mit der Zeit verblassen, so wie das Bild, wie sie noch vor wenigen Tagen gewesen war, ebenfalls verblassen würde, tatsächlich schon zu verblassen begonnen hatte, bis irgendwann nichts mehr von ihr in seinem visuellen Gedächtnis übrig sein würde. Wenn er sie sehen wollte, würde er das nur auf Fotografien tun können. Doch wenn er die Augen schloss, würde er nichts als die Dunkelheit sehen.
Es war die Dunkelheit, die er fürchtete und alles, was die Dunkelheit repräsentierte, dem er nicht ins Auge blicken konnte. Und Helen war das Zentrum all dessen sowie die Nichtexistenz von Helen, die daraus resultieren würde, wenn er so handelte, wie sie - und das war ihm völlig klar - es wollen würde.
Das hatte sie ihm von Anfang an gesagt. Oder war selbst diese Überzeugung eine Lüge?
Er wusste es nicht. Er ließ den Kopf auf die Matratze sinken und betete um ein Zeichen. Er wusste, er suchte nach etwas, das ihm den Weg, den er einschlagen musste, erleichtern würde. Aber zu dem Zweck existierten Zeichen nicht. Sie dienten der Führung, aber sie ebneten nicht den Weg.
Ihre Hand war kühl, als er sie ertastete. Er schloss die Finger darum und wollte Helen mit seiner Willenskraft veranlassen, sie zu bewegen, wie sie es vielleicht getan hätte, wenn sie nur schliefe. Er stellte sich vor, wie sie flatternd die Lider öffnete und murmelte: »Hallo, Darling«, doch als er den Kopf hob, lag sie da wie zuvor. Helen atmete, weil die medizinische Forschung dies ermöglichte. Sie war tot, weil diese Forschung noch keine weiteren Fortschritte gemacht hatte.
Sie gehörten zusammen. Der menschliche Wille mochte etwas anderes wünschen, doch der Wille der Natur war nicht so vage. Helen hätte das verstanden, selbst wenn sie es nicht so ausgedrückt hätte. Lass uns gehen, Tommy, hätte sie gesagt. Wenn es um den Kern der Dinge ging, war sie immer die klügste und unsentimentalste aller Frauen gewesen.
Als die Tür sich einige Zeit später öffnete, war er bereit.
»Es wird Zeit«, sagte er.
Er fühlte sein Herz anschwellen, als werde es ihm aus dem Leib gerissen. Die Monitore wurden schwarz. Das Beatmungsgerät verstummte. Die Stille des Abschieds legte sich über den Raum.
Als Barbara und Nkata zu New Scotland Yard zurückkamen, machte die Neuigkeit bereits die Runde. Die Fingerabdrücke des Jungen waren auf dem Lauf und dem Griff der Pistole, und die ballistische Untersuchung hatte ergeben, dass es sich um die Tatwaffe handelte. Sie erstatteten John Stewart Bericht, der mit versteinerter Miene lauschte. Es sah aus, als glaube er, seine Anwesenheit in der Harrow-Road-Wache hätte zu einem anderen Ergebnis geführt und den Namen des zweiten Täters aus dem Jungen herausgeholt. Er hat ja keinen Schimmer, dachte Barbara und teilte ihm mit, was sie von Fabia Bender über den Jungen und Colossus erfahren hatten.
Zum Schluss sagte sie: »Ich will das dem Superintendent erzählen, Sir.« Und als Stewarts Gesicht einen Ausdruck annahm, als steige ihm ein übler Geruch in die Nase, korrigierte sie sich: »Ich würde es ihm gerne sagen. Er glaubt, dass der Anschlag auf Helen mit diesem Fall zusammenhängt, dass das Porträt in der Source dazu geführt hat, dass der Täter sie finden konnte. Er muss wissen ... Ich meine, dann hätte er eine Sorge weniger.«
Stewart schien das aus jedem Winkel zu betrachten, ehe er schließlich zustimmte. Aber sie müsse den schriftlichen Bericht über das Verhör in der Harrow Road schreiben, und zwar bevor sie ins St.-Thomas-Krankenhaus fahre.
So war es nach ein Uhr morgens, als sie schließlich zu ihrem Auto ging. Dann sprang dieser verflixte Mini nicht an, und sie saß da, den Kopf aufs Lenkrad gestützt und beschwor
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