13 - Wo kein Zeuge ist
den verdammten Motor, endlich in Gang zu kommen. In ihrem Kopf hörte sie die Warnung aus irgendeiner automechanischen Dimension, sie solle den Wagen in Reparatur geben, ehe er endgültig den Geist aufgab. »Morgen«, murmelte sie. »In Ordnung? Morgen.« Und sie hoffte, das Versprechen sei ausreichend.
Das war es. Der Motor sprang endlich an.
Zu dieser nachtschlafenden Zeit waren die Straßen von London beinah leer gefegt. Kein Taxifahrer, der halbwegs bei Verstand war, war um diese Zeit in Westminster unterwegs, um eine Tour zu ergattern, und die Busse fuhren nur noch selten. Gelegentlich kam ihr ein Wagen entgegen, aber im Großen und Ganzen waren die Straßen so verlassen wie die Gehwege, wo Obdachlose sich in Hauseingänge zum Schlafen gelegt hatten. So erreichte sie in kürzester Zeit das Krankenhaus.
Unterwegs fiel ihr ein, dass er vielleicht gar nicht da war, dass er möglicherweise nach Hause gegangen war, um ein bisschen zu schlafen, und in dem Fall wollte sie ihn nicht stören. Doch als sie ankam und unterhalb der Lambeth Palace Road in einer Ladezone parkte, entdeckte sie seinen Bentley am Ende des Parkplatzes. Er war also bei Helen, wie sie erwartet hatte.
Flüchtig dachte sie an das Risiko, den Motor des Mini abzustellen, nachdem er einmal zum Leben erwacht war. Aber sie musste es eingehen, denn sie wollte diejenige sein, die Lynley von dem Jungen berichtete. Sie hatte das Bedürfnis, ihm wenigstens einen kleinen Teil der Schuldgefühle zu nehmen, die er mit sich herumschleppte, also drehte sie den Schlüssel im Zündschloss und wartete, bis der Schluckauf des Mini verstummte.
Sie schnappte sich ihre Schultertasche und stieg aus. Sie wollte sich gerade Richtung Eingang auf den Weg machen, als sie ihn sah. Er war aus dem Krankenhaus gekommen, und sein Anblick - die Art, wie er sich bewegte und die Haltung seiner Schultern - führte ihr vor Augen, dass er sich für immer verändert hatte. Da zögerte sie. Wie ging man auf einen teuren Freund zu ... Wie ging man auf ihn zu in so einem Moment, da er völlig gebrochen war? Sie kam zu der Überzeugung, dass sie das nicht konnte. Denn was machten ihre Neuigkeiten letztlich für einen Unterschied, da sein Leben jetzt in Trümmern lag. Er ging langsam über den Parkplatz Richtung Bentley. Dort angekommen, hob er den Kopf. Er sah nicht zu ihr, sondern auf einen Punkt des Parkplatzes, der außerhalb ihres Blickfeldes lag. So, als hätte jemand seinen Namen gerufen. Dann kam eine Gestalt aus der Dunkelheit, und danach ging alles sehr schnell.
Barbara erkannte, dass der Mann ganz in Schwarz gekleidet war. Er bewegte sich auf Lynley zu. Er hielt etwas in der Hand. Lynley schaute sich um. Dann wandte er sich zu seinem Wagen um. Aber weiter kam er nicht, denn der Mann hatte ihn erreicht und drückte den Gegenstand in seiner Hand in Lynleys Seite. Nicht einmal eine Sekunde verging, ehe der Superintendent am Boden lag, und die Hand, die den Gegenstand hielt, näherte sich ihm erneut. Sein Körper zuckte, und der Mann in Schwarz sah auf. Selbst aus der Entfernung erkannte Barbara Robbie Kilfoyle.
All das hatte drei Sekunden gedauert, vielleicht weniger. Kilfoyle packte Lynley unter den Achseln und zerrte ihn auf etwas zu, das Barbara, verflucht noch mal, hätte sehen müssen, dachte sie, wären nicht all ihre Gedanken bei Lynley gewesen: Ein Van stand im tiefsten Schatten, die Schiebetür war offen. Kilfoyle brauchte noch einmal eine Sekunde, dann hatte er Lynley hineingezogen.
»Verdammte Scheiße«, sagte Barbara. Sie war unbewaffnet und für den Moment absolut ratlos. Sie schaute zu ihrem Mini, in der Hoffnung, dort irgendetwas zu entdecken, das sie gebrauchen konnte Sie griff nach dem Handy, um Hilfe zu rufen. Sie tippte die erste Neun ein, als der Van auf der anderen Seite des Parkplatzes jaulend zum Leben erwachte.
Sie hastete zu ihrem Wagen, warf Tasche und Handy hinein, ohne die Nummer zu Ende gewählt zu haben. Sie würde die letzten beiden Ziffern unterwegs eintippen, aber erst einmal musste sie losfahren, musste sich an ihn dranhängen, musste ihm folgen und die Richtung, in die sie fuhr, per Handy durchgeben, damit eine bewaffnete Einheit losgeschickt werden konnte, weil der Van, der verdammte Van bereits über den Parkplatz fuhr. Er war rot, wie sie vermutet hatten, und auf der Seite standen die verblichenen Buchstaben, die sie auf dem Video gesehen hatten.
Barbara rammte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn. Der Motor röchelte. Er sprang
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