130 - Das Mädchen mit den Monsteraugen
Geburt unserer einzigen Tochter stand, konnte sie es nicht unterlassen, noch ausgedehnte Wanderungen und Fahrten mit Palette und Staffelei zu unternehmen.
‘ Ich warnte sie davor. Aber sie wollte nichts davon wissen. Sie sagte mir, daß sie noch viel Zeit zu Hause verbringen müßte, wenn das Kind erst mal da sei.
Dies war übrigens ein Punkt, den Dr. Handkins, ein anerkannter Nervenarzt und Psychiater, immer wieder ansprach. Im Vertrauen ließ er mich mal wissen, daß Bettes Geburt möglicherweise ein Trauma wäre für alles, was später nachkam. Vivian war eine treusorgende Mutter, veränderte ihr Leben vollständig und schien das Kind auch zu lieben. Aber in ihrem Unterbewußtsein schien sie gleichzeitig die Einschränkung, die durch das neue Leben in ihr Dasein gekommen war, massiv als Leidensdruck zu empfinden.
Sie lehnte Bette ab, ohne es wahrhaben zu wollen.
So bildete sie sich ein, daß mit Ende der Krankheit, als Bette wieder genas, eine Veränderung mit dem Mädchen vorgegangen wäre. In Wirklichkeit - so vermutete Dr. Handkins schon damals - hätte sie sich wahrscheinlich Bettes Tod gewünscht. Aber dieser Gedanke war für sie als Mutter so unfaßbar und absurd, daß sie ihn nicht wahrhaben wollte.
Es ist alles ein wenig kompliziert, ich weiß .. .« Edgar Mail unterbrach sich und sah Kunaritschew bedauernd an, als könnte er diesem Mann nicht zumuten, sich so ausgefallene Gedankengänge anzuhören.
»Reden Sie nur weiter, Towarischtsch. Ich komme ganz gut mit, wie ich glaube .«
»Na schön. Ich bin auch schon ziemlich am Ende. Wie gesagt, Doc Handkins war sicher, daß Vivian Bette eigentlich nie wollte und ihre Rolle als Mutter nur spielte, weil dies von ihr erwartet wurde.
Vielleicht hat sie schon in jener Nacht, als Bette geboren wurde, gehofft, es würde etwas schiefgehen. Sie war nicht zu Hause, als die Wehen begannen.
Sie gebar ihr Kind am Rand der Wüste unter freiem Himmel. Anwesend waren drei oder vier Eingeborene. Nomaden. Damals waren noch mehr unterwegs als heute. Ein Teil von ihnen ist jetzt verhältnismäßig seßhaft geworden, sie haben eigene kleine Dörfer, wie Sie wahrscheinlich wissen, zum Beispiel Vuluvulu, ein Ort in der Nähe.
Erst vierundzwanzig Stunden nach der Geburt erfuhr ich davon und ließ Vivian holen. Beide waren wohlauf. Bette entwickelte sich prächtig. Sie hatte bei der Geburt elfeinhalb Pfund. Damals bestand durch Vivians Arzt sogar eine Zeitlang der Verdacht, daß meine Frau möglicherweise Zwillinge gebären könnte ... Gut, daß dies nicht der Fall war. Vielleicht wäre sie sonst schon früher verrückt geworden .«
Iwan hatte aufmerksam zugehört. Je mehr er über die Angelegenheit nachdachte, desto rätselhafter und undurchsichtiger schien ihm manches.
Er sah Vivian Mail und Bette in allen Variationen auf Fotos. Bette als Säugling, ein Krabbelkind, auf der Schaukel im Garten und im Sandkasten. Bette als Schulmädchen, bei ihrer ersten Party, als bildhübscher Teenager. Sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich, war groß, schlank und hatte deren weiches, seidig schimmerndes Haar geerbt. Nur die Farbe war heller.
Zwei Frauen, die sich jedoch spinnefeind waren ...«
In der Diele unten schlug das Telefon an.
Edgar Mail entschuldigte sich und lief hinunter.
Außer ihm, Iwan Kunaritschew und Chief-Inspector Holler war sonst niemand im Haus.
Mails alte Mutter lag in einem Hospital im sechzig Meilen entfernten Louth. Er hatte der alten Dame den Anblick der toten Enkelin ersparen wollen.
Aber in dem Durcheinander jener Nacht, die jetzt fünfunddreißig Stunden zurücklag, war ihm das leider nicht gelungen.
Als er die Schlafzimmertür mit Gewalt durchbrach, blieb es nicht aus, daß seine Mutter die mit durchschnittener Kehle auf dem Bett liegende Leiche sah.
Die alte Frau erlitt einen Herzanfall, und Edgar Nail fuhr sie sofort ins Hospital. Bis der Arzt in Whisinggale hätte eintreffen können, wäre eine Stunde vergangen.
Die alte Mrs. Mail lag unterm Sauerstoffzelt und wurde medikamentös behandelt.
Kunaritschew und Holler hörten, wie die eiligen Schritte sich entfernten.
Der Chief-Inspector, ein schmaler Mann mit schwarzem, schütterem Haar und asketischem Gesicht nahm einen goldfarbenen Bilderrahmen vom Régal.
Das großformatige Foto zeigte eine Porträtstudie Bette Mails.
»Sie ist bildhübsch«, bemerkte der Mann, der sonst steif wirkte. »Unvorstellbar, daß sie eine solche Bestie war, wie sie von ihrer Mutter geschildert wurde.«
Das Bild war
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