1300 - Die Gänger des Netzes
sichtbar. Ich sah sie, weil meine Sinne durch den psionischen Imprint konditioniert waren, Dinge wahrzunehmen, die mit dem Psionischen Netz zu tun hatten. Für jedes andere Wesen war das blasse, halbkugelige Gebilde einfach nicht vorhanden, weder optisch noch sonst wie. Ich hatte etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, als ich das Geräusch härte. Es hörte sich so fremdartig an, dass ich unwillkürlich stehenblieb.
Etwas kam scheppernd und klappernd durch den Dschungel auf mich zu. Der Lärm klang, als würde er von hundert metallenen Eimern verursacht, die von einem Sturm durcheinandergewirbelt werden. In den Krach mischten sich dünne, pfeifende und zwitschernde Laute. Dort, wo der Weg von Westen her auf die Lichtung mündete, sah ich einen jungen Baum in Bewegung geraten. Er beugte sich vor einer Gewalt, deren Ursprung ich nicht sehen konnte, fast bis zum Boden. Dann splitterte sein Stamm mit hellem Knall, und aus dem Laubwerk kam etwas Graues, Schmutziges zum Vorschein. Es schob sich klappernd auf die Lichtung heraus, ein wahrer Behemoth - ein altertümliches, sechsrädriges Fahrzeug mit einem Aufbau, dessen Bestandteile so locker angebracht waren, dass sie bei jeder Bewegung aneinander schlugen und den scheppernden Lärm verursachten.
In dem oben offenen Gefährt saßen acht Wesen seltsamer Erscheinung. Sie waren Ornithoiden, das sah ich auf den ersten Blick, aber mit dem Aussehen ihrer vogelähnlichen, somerischen Vorfahren hatten sie kaum mehr etwas gemeinsam. Das seltsame Vehikel schickte sich an, den Tümpel zu umrunden, und kam auf mich zu. Der Fahrer schien Mühe mit der Steuerung zu haben, denn mehrmals gerieten die Räder auf der linken Seite ins Wasser, und das Fahrzeug konnte sich nur mit Ächzen und Stöhnen und zusätzlichem Geklapper aus dem schlammigen Untergrund befreien.
Ein paar Meter vor mir hielt der Wagen an. Ich hatte mich bis jetzt nicht von der Stelle gerührt. Die acht Fremdwesen erschienen mir ungefährlich.
Ich war neugierig. Ich wollte wissen, wie sie auf meine Anwesenheit reagierten. Sie sprangen aus dem offenen Fahrzeug herab. Mit stelzenden Schritten kamen sie auf mich zu. Einer von ihnen hinkte.
Und dann geschah das Unglaubliche. Unmittelbar vor mir warfen sich alle acht zu Boden. Sie breiteten die gefiederten Arme aus und gruben die drei Finger ihrer Hände in das feuchte Erdreich. Sie hielten den Blick nach unten gerichtet, als fürchteten sie sich, mich anzusehen. Nur der Hinkende hatte den Kopf in den Nacken gelegt und sah zu mir auf. Ich bemerkte, dass er drei Augen hatte: jeweils eines an der rechten und linken Seite des Schädels, wie seine Artgenossen auch, und ein drittes unmittelbar über der Schnabelwurzel. Das dritte Auge war unnatürlich groß. Es schien kaum in die Höhle zu. passen, die eine böswillige Mutation vor wer weiß wieviel Generationen geschaffen hatte. Ein unförmiger Klumpen grünlicher Gallertmasse, hing es fast bis auf den Ansatz des Schnabels herunter. Iris und Pupille waren nur angedeutet. Das Auge schien mich anzustarren, aber ich bezweifelte sehr, dass es ein funktionsfähiges Sehorgan war.
Der Dreiäugige war in bunte Lappen gekleidet, während die Gewänder seiner Begleiter aus grauen oder braunen Säcken zu bestehen schienen. Die Farbe seines Schnabels war ein grelles Orange. Das Gefieder am Kinn und entlang der beiden Arme war so unbeschreiblich bunt, dass es den Augen weh tat. Der Som-Ussad liebte Farben, und offensichtlich benützte er sie zur Unterstreichung seines Ranges, denn er war offensichtlich der Anführer dieser Gruppe.
Der orangefarbene Schnabel öffnete sich. Der Dreiäugige gab eine Folge zwitschernder und zirpender Laute von sich. Zuerst glaubte ich, überhaupt nichts davon verstehen zu können, aber dann registrierte ich mehrere Lautfolgen, die mir bekannt vorkamen. „Eine stark abgeschliffene Mischung von Sothalk und Somerisch", flüsterte der Syntron mir zu. Der Dreiäugige fuhr fort zu sprechen. Seine Gefährten wagten es noch immer nicht, den Blick zu erheben. „Fiload...", verstand ich. „Som-Ussadi... fremde Göttin... Ehrfurcht... Gnade... Gebete... Opfer bringen. „ Das Wort „Fiload" kannte ich nicht. Wahrscheinlich war es sein Name. Für eine Göttin hielt er mich? Opfer wollte er mir bringen? Das konnte lustig werden. Ich hätte mich amüsieren können, wenn nicht das tückische grüne Auge gewesen wäre, das mich unverwandt anglotzte. Ansonsten widerstand ich mühelos der Versuchung, die Physiognomie
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