1304 - Die Voodoo-Gräfin
»Das kann ich nicht so genau sagen. Ich kenne die Frau ja nicht. Sie ist für mich ein Ungeheuer. Sie hat so viele Frauen um sich versammelt, aber das wisst ihr ja vom Telefon her, als man euch anrief. Ich habe wirklich schon überlegt, ob ich nicht hinfliegen und versuchen soll, Max zu entführen. Durch mein Fliegen habe ich gute Möglichkeiten. Ich könnte vom Dach aus einsteigen, wenn das möglich ist und…«
»Das lässt du mal bleiben«, sagte ich.
Bebend schaute mich Carlotta an. »Aber wir müssen doch was tun!«
»Keine Sorge, das werden wir auch.«
»Und was?«
Ich ließ einige Sekunden verstreichen, bevor ich die Antwort gab.
»Deine Idee vorhin war schon ganz gut. Ich meine diesen Flug hin zur Festung. Leider ist es nicht mehr dunkel…«
»Warum sagst du das?«
Sie hatte ihre Nervosität noch immer nicht verloren. Ich drückte die ausgestreckte Hand einige Male nach unten. »Langsam, langsam, wir wollen nichts überstürzen. Erinnerst du dich daran, wie ich auf deinem Rücken gelegen habe und du mit mir geflogen bist?«
»Ja.« Jetzt lächelte sie. »Das war sogar toll.«
»Finde ich auch. Und so etwas könnten wir wiederholen. Ich steige auf deinen Rücken, und du setzt mich auf dem Dach dieser Festung ab. Ist das eine Idee?«
»Ja, ja. Dann gehen wir zusammen in…«
»Nur ich.«
»Und was mache ich?«
»Du kannst ja den offiziellen Weg gehen. Du erkundigst dich einfach nach deiner Ziehmutter.«
»Man wird mir nichts sagen. Man wird mich sogar festhalten wollen. Das glaube ich.«
»Nur wirst du nicht allein sein.«
»Wer soll denn bei mir sein?«
»Ich«, sagte Suko.
Es war für Carlotta eine kleine Überraschung. Sie musste sich erst mit dem Gedanken vertraut machen. »Wenn es denn so klappt«, sagte sie, »möchte ich nicht im Weg stehen.«
»Das muss klappen.«
Sie wusste nicht, ob sie lächeln oder weinen sollte. Jedenfalls zuckten einige Male ihre Lippen. Sie suchte auch nach Worten, fand die richtigen jedoch nicht.
»Ich denke, dann sollten wir uns überlegen, wann wir losfliegen.«
»So bald es geht, John. Ich… ich … will nicht länger mit einer Toten in einem Haus zusammen sein.«
Ich war nicht ganz auf der Höhe. »Mit einer Toten?«
»Ja«, sagte Suko. »Es ist diese Helen Pride, von der uns Carlotta erzählt hat.«
»Natürlich, sie hat Recht. Helen ist noch hier. Wo können wir sie denn finden?«
»In unserem Wohnzimmer auf der Couch. Dort hat man sie auch umgebracht.« Carlotta schüttelte sich.
»Aha. Das ist also der Grund, weshalb du die Tür mit einem so scheuen Blick bedacht hast.«
»Ja, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, den Tod zu spüren. Wie einen kalten Hauch.«
»Gut, dann wollen wir mal.«
Sie ließ uns noch nicht gehen. »Habt ihr euch schon überlegt, was mit der Leiche passieren soll?«
»Nein, noch nicht.«
»Aber sie muss weg.«
»Darum werden wir uns später kümmern«, erklärte Suko.
Carlotta entspannte sich. Sie konnte sogar lachen, auch wenn es sich etwas seltsam anhörte. »Ich bin ja so froh«, flüsterte sie, »dass ihr… ich meine, dass ihr so schnell gekommen seid. Ich hätte nicht gewusst, was ich allein hier hätte tun sollen. Das war alles so schrecklich. Das Haus ist so leer ohne Max. Ich konnte auch nicht schlafen. Ich bin wie ein Geist umher gewandert. Das war so schlimm. Überall habe ich Gespenster gesehen. Ich hörte das Lachen der Frau und immer wieder das Knurren und Bellen der Hunde.«
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, Carlotta, wir packen das. Wir haben es bisher immer geschafft, und das wird auch diesmal so sein.«
»Aber jetzt habe ich mehr Angst. Es geht ja auch um Max und nicht nur um mich.«
Die Küche hatten wir längst verlassen und standen in der geräumigen Diele. Es gab keine Treppe nach oben. Die Räume lagen alle auf einer Ebene, ebenso wie die Praxis.
Carlotta schaute wieder scheu auf die Tür. Ich bemerkte ihren Blick und sagte leise: »Kein Grund zur Sorge, wenn du willst, brauchst du nicht mit hineinzugehen.«
Sie hob die recht breiten Schultern an. »Das weiß ich nicht. Mal sehen.«
Suko war schon auf die Tür zugegangen. Er öffnete sie auch.
Diesmal betraten wir nicht so locker wie sonst das Zimmer. Die graue Helligkeit, die auch draußen lag, hatte sich hier ebenfalls ausgebreitet und erlaubte uns eine gute Sicht.
Mit einem ersten schnellen Rundblick stellten wir fest, dass uns niemand erwartete. Auf der Couch lag tatsächlich eine sehr stille Gestalt,
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