1307 - Die toten Frauen von Berlin
Lichtschein aus den Häusern hinein in die immer stärker werdende Dämmerung, als hätte man irgendwelche geheimnisvollen Höhlen geöffnet, um sie sofort danach wieder zu verschließen, damit niemand hineinschauen konnte.
Ich drehte dem Fenster den Rücken zu und konzentrierte mich auf meine Umgebung hier im Atelier. Ich wollte etwas davon aufnehmen. Jeder Raum besitzt ein bestimmtes Klima oder eine Atmosphäre, und ich wusste auch, dass Zombies manchmal zu riechen waren, bevor man sie zu Gesicht bekam.
Hier nicht!
Es gab nicht den Geruch nach Verwesung oder angefaultem Fleisch. Die Berufsgerüche überwogen. Farbe, auch Staub, aufgefüllt von den scharfen Gerüchen irgendwelcher Chemikalien.
Das war alles so schrecklich normal und wurde noch normaler, als Harry den Lichtschalter gefunden hatte und für eine gewisse Helligkeit sorgte. Er vertrieb damit meinen nächsten Gedanken, denn ich hatte mich damit beschäftigt, ob wir wohl weiterhin von dem Künstler unter Kontrolle gehalten wurden.
Entdeckt hatte ich nichts. Es gab kein Auge einer Kamera, und ich konnte auch keine Lautsprecher sehen.
Dafür jetzt einige Bilder.
Zwei von ihnen hatten ihre Plätze auf den Staffeleien gefunden.
Andere standen leicht nach hinten gekippt auf dem Boden und lehnten an den rauen Wänden. Hinter Harry Stahl sah ich eine geschlossene Tür. Sie führte vermutlich in den Wohnbereich des Künstlers.
Farbkleckse auf den Bohlen zeigten, dass hier auch gearbeitet worden war. Ich schritt auf die mir am nächsten liegende Staffelei zu und schaute mir das Bild an.
Auch wenn kein Punktstrahler auf das Motiv gerichtet war, zuckte ich doch leicht zurück. Es war die Düsternis, die mich leicht erschreckte.
Ein kleiner Teich. Bäume umstanden ihn. Es war zu sehen, dass Gideon Schwarz sein Handwerk verstand. Er hatte auch dafür gesorgt, dass sich die Kronen der Bäume auf der Wasseroberfläche spiegelten. Das zu malen war verdammt nicht einfach, aber der Betrachter, der sich in das Bild vertiefte, so wie ich jetzt, der sah noch mehr im Motiv der Spiegelung. Zwischen den Bäumen oder auch im Geäst entdeckte ich etwas anderes, und das kam mir vor wie bei einem Suchbild, wie man es oft in den Zeitschriften findet.
Ich entdeckte in den Blättern zwischen den Zweigen und Ästen tatsächlich Gesichter. Es war nicht einfach, aber ich hatte mich darauf konzentriert und bekam dann das Gefühl, dass diese Gesichter zu Frauen passten.
Mir waren sie fremd.
Dem Künstler sicherlich nicht.
Harry trat neben mich. »Interessant?«, fragte er leise.
»Ja. Allerdings auf den zweiten Blick.«
»Warum?«
»Schau dir die Oberfläche des Teiches genau an. Sieh dorthin, wo sich die Baumkronen spiegeln.«
»Okay.«
Harry Stahl brauchte ungefähr so lange wie ich, um das Geheimnis des Bildes zu entdecken. Er strich leicht über seine linke Wange hinweg, als er seinen Kommentar abgab.
»Das sind Frauengesichter.«
»Und weiter?«
»Wie viele hast du gezählt?«
»Fünf.«
»Kam dir eines davon bekannt vor?«
Harry schaute noch mal hin. »Ich glaube. Das Gesicht ganz rechts. Helene Dossow.«
»Exakt.«
Mein deutscher Freund richtete sich auf. Mit leiser Stimme sprach er den nächsten Satz. »Dann können wir davon ausgehen, dass wir ihn gefunden haben.«
»Das denke ich auch. Er ist es. Er hat die Frauen entführt und sie zu Zombies gemacht. Er hat sie versteckt und sich anschließend mit ihnen beschäftigt. Nur Eve Sandhurst war noch nicht so weit. Sie ist ihm entkommen.«
Harry ging von mir weg. Allerdings nicht weit. An einer bestimmten Stelle blieb er stehen und drehte sich um seine eigene Achse. Dabei hörte ich, wie er mit leiser Stimme zählte.
»Was ist los?«
»Hier gibt es vier Gestalten oder Plastiken, die verdeckt sind, John. Nur vier. Ein Podest ist leer, und jetzt gehe ich davon aus, dass hier mal eine gewisse Helene Dossow gestanden hat. Ich bin sogar überzeugt, dass wir, wenn wir die Tücher abziehen, unseren Zombie-Frauen in die Gesichter schauen.«
Ich brauchte darauf nichts zu antworten und nur zu nicken, denn so wie Harry dachte ich auch. Das Bild auf der zweiten Staffelei interessierte uns nicht mehr, jetzt war es wichtig, die Wahrheit herauszufinden, mochte sie auch noch so schaurig sein.
Obwohl ich noch keinen Hinweis darauf bekommen hatte, glaubte ich auch jetzt daran, dass wir unter heimlicher Beobachtung standen.
Deshalb war ich auch gespannt, wie der Künstler reagieren würde, wenn wir die erste Figur
Weitere Kostenlose Bücher