1311 - Die Teufelszunge
bleiben!«
»Jetzt wird es interessant«, flüsterte Bill quer über den Tisch. Er trank hastig einen Schluck Wein und setzte sein Glas wieder hart ab.
Glenda tastete nach meiner Hand. »Ich glaube, John, dass wir bald eingreifen sollten.«
»Du nicht.«
»Warte es ab. Was ist mit deinem Kreuz? Spürst du eine Reaktion?«
»Im Moment nicht.«
»Aber sie ist kein echter Mensch. Ich kenne das. Ich habe sie genau beobachten können.«
Charlotte Shols hatte sich wieder gefangen. Es war auch nicht einfach, mit einer derartigen Bemerkung zurechtzukommen. Sie fühlte sich ausgestoßen, und das konnte sie einfach nicht hinnehmen.
»Wenn du sie nicht wegschickst, und wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich zu dir.«
»Nein!«
»Doch, Walter, das muss ich. Ich komme zu dir. Es geht nicht anders, verdammt!«
»Bitte, Charlotte, du musst bleiben. Du kannst nicht…«
»Und ob ich das kann.« Sie wirkte jetzt sehr energisch und erklomm mit zwei Schritten das Podium. Jeder sah auf ihm jetzt ein Trio, und Charlotte wusste im ersten Augenblick nicht, was sie noch unternehmen sollte. Sie stand auf dem Fleck, sie starrte Marisa an und versuchte, sie zu provozieren.
Das fremde, nackte Geschöpf tat nichts. Es blieb einfach stehen und blickte der Frau ins Gesicht.
Da uns Charlotte den Rücken zudrehte, sahen wir nicht genau, was sich in ihrem Gesicht abspielte. Sicherlich lagen dort die Emotionen frei, und sie zischte Marisa an.
»Verschwinde!«
Marisa schüttelte den Kopf.
»Du sollst verschwinden!«
»Nein!«
Zum ersten Mal hatte sie gesprochen. Mit einer sehr weichen, aber doch verständlichen Stimme, die auch von den Besuchern gehört wurde.
Charlotte musste die Antwort erst begreifen. Sie suchte nach einer Reaktion. Da sie wusste, dass sie mit reden nicht viel weiterkam, griff sie zu einem anderen Mittel.
»Wenn du hier nicht verschwindest, werde ich es mit Gewalt versuchen. Ist das klar?«
Marisa nickte.
»Dann hau jetzt ab!«
Es näherte sich der Höhepunkt. Alle Zuschauer wussten, dass etwas passieren musste, und das trat tatsächlich ein.
Doch nicht durch Charlotte, sondern durch Marisa.
Sie ging einen Schritt vor und bewegte sich dabei an Walter Shols vorbei. Dann tat sie etwas, womit wohl keiner gerechnet hatte, auch Charlotte Shols nicht.
Sie streckte ihren rechten Arm aus und legte die gespreizte Hand auf den Kopf der Frau.
Gespannt hatte ich den Vorgängen auf dem Podium zugeschaut und erlebte die Veränderung. Von einem Augenblick zum anderen war Charlotte ruhig gestellt worden. Sie schien hypnotisiert zu sein, denn sie reagierte überhaupt nicht mehr.
Wie eine Statue blieb sie stehen, während die Hand der ungewöhnlichen Person wieder langsam nach unten sank. Für Marisa war die Frau nicht mehr interessant. Jetzt zählte nur noch der Musiker, den sie ansprach.
»Spiel, Walter, spiel mein Lied…«
***
Der Mann, der die Karten der Gäste kontrolliert hatte, war froh, endlich eine Pause zu haben und etwas essen zu können. Er saß auf einem Stuhl in der Vorhalle, mampfte seine beiden Bananen, die ihm seine Frau mitgegeben hatte, und überlegte, ob er in die Halle gehen und sich das Spiel anhören sollte.
Er selbst war kein großer Musikfan. Was ihn interessierte, war Fußball. Da vor allen Dingen Arsenal London. Er zählte sich zu den größten Fans dieses Vereins.
Das Spiel der Trompete klang zwar nicht schlecht, aber dafür wollte er seinen Platz nicht verlassen. Nachzügler waren nicht erschienen, und so würde er ein paar ruhige Minuten haben bis zur Pause. Nach dem Essen ein Nickerchen machen, war auch nicht schlecht.
Seit drei Jahren war Hank Gray Rentner. Seinem Job bei der Eisenbahn trauerte er nicht nach. Er hatte andere Aufgaben übernommen, die aber nicht stressig waren. Bei Veranstaltungen kontrollierte er Karten und spielte auch manchmal den Garderobier.
Hinter dem Tresen der Garderobe hatte er auch seinen Platz gefunden, kaute auf seiner Banane herum, hörte hin und wieder der Musik zu und spürte eine gewisse Müdigkeit, die durch seine Knochen schlich.
Das änderte sich, als er die Bewegung an der Tür sah. Sie wurde auf gestoßen, und mit der Ruhe war es vorbei.
Klaus, der Knipser, stürmte in die kleine Halle.
Hank Gray musste grinsen. Er kannte den Mann gut. Wie er mit Nachnamen hieß, wusste kaum jemand. Bekannt war er als Klaus, der Knipser. Ein Fotograf, der sich auf bestimmte Events spezialisiert hatte und verschiedene Zeitungen bediente. Wenn irgendwo ein
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