Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1311 - Die Teufelszunge

1311 - Die Teufelszunge

Titel: 1311 - Die Teufelszunge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
bestand.
    Walter Shols hatte die Aufforderung zwar verstanden, aber er spielte noch nicht, obwohl er sein Instrument bereits angenommen hatte. Er saß da und überlegte. Wie jemand, der noch darüber nachdenken musste, welches Stück er spielen sollte.
    Ich drehte den Kopf, weil ich sehen wollte, wie die anderen Zuschauer reagierten. Schon bei dieser leichten Bewegung fiel mir etwas auf. Es klappte nicht so wie sonst. Ich fühlte mich kaputt und bewegte mich nur schwerfällig. Etwas war geschehen. Es hatte sich wie eine Last über den Raum gelegt.
    Den anderen Menschen erging es nicht anders. Auch sie saßen da, als läge ein großer Druck auf ihren Köpfen. Da sprang niemand auf, es gab auch keiner einen Kommentar ab. Alles war so anders geworden, so dumpf und irgendwie stockend.
    Selbst Glenda, eigentlich ein Energiebündel, saß wie erstarrt auf ihrem Stuhl. Sie hatte den Oberkörper leicht nach vorn gedrückt und stützte sich mit dem rechten Ellbogen auf der Tischplatte ab.
    Mein Freund Bill schaute nur nach vorn. Ich warf einen Blick auf sein Profil. Nichts bewegte sich in seinem Gesicht. Auch er stand unter einem fremden Druck.
    Walter Shols war jetzt bereit, sein Konzert fortzusetzen. Er setzte das Mundstück an die Lippen, und es dauerte nicht mal drei Sekunden, als er spielte.
    Ich achtete zunächst nicht auf die Melodie. Mein Interesse galt der nackten Besucherin, die sich nicht bewegte und wie angegossen auf dem Podium stand.
    Sie schaute nur zu. Sie hielt alles unter Kontrolle. Sie war so gut wie nackt. Seltsamerweise empfand ich ihre Blöße nicht als Provokation. Es gab sie, und es hatte den Anschein, als würde sie einfach dazu gehören.
    Sie lauschte.
    Auch wir lauschten. Wir konnten der Melodie nicht entgehen.
    Mir persönlich war sie nicht bekannt, doch ich verstand es sehr gut, etwas aus ihr herauszuhören.
    Sie klang fremd, aber trotzdem sehr vertraut. Es mochte an den weichen Tönen liegen, die von einer anderen Welt erzählten und trotzdem so vertraut an meine Ohren drangen.
    Sie lullte die Zuhörer ein. Sie ergaben sich der Musik. Ich sah es, wenn ich meine Augen bewegte. Die im Halbdunkel liegenden Gesichter zeigten ein gewisses Entzücken. Da waren die Lippen zu einem Lächeln in die Breite gezogen. Augen, die glänzten und leicht verdreht waren. Die Menschen gaben sich der Musik hin, aber es steckte keine Freude in ihnen. Alles war irgendwie anders geworden. Über dem Saal und den Besuchern hing ein Schleier, der vieles verdeckte und der bei unserem Eintreten nicht vorhanden gewesen war.
    Lag es am Spiel des Künstlers?
    Da war ich mir nicht so sicher. Es kam beides hinzu. Auch das Erscheinen der Nackten, und genau das war der springende Punkt.
    Sie hatte für die Veränderung gesorgt. Erst nach ihrem Auftreten war das Spiel ein anderes geworden. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass jemand in der Lage wahr, dem Trompeter Beifall zu klatschen.
    Walter Shols saß auf seinem Stuhl. Er tat das, was er am besten konnte. Ich hatte ihn ja schon vor dem Auftreten dieser Marisa erlebt. Da war er in seinem Element gewesen. Jetzt aber stand er unter Marisas Einfluss, wie auch alle anderen. Er spielte, aber seine Bewegungen waren wesentlich träger geworden. Mir kamen sie sogar schwerfällig vor, als müsste er sich durch einen zähen Schlamm bewegen.
    Es gab bei diesem Musikstück keinen Optimismus mehr. Kein Jubeln der Klänge. Sehr getragen, sehr melancholisch. Diese Melodien, die ineinanderflossen, ohne auf einem bestimmten Thema aufzubauen, erzählten von Vergessen, von Trennung, von Abschied…
    Durchaus hörbar. Keine schrillen Klänge malträtierten unsere Ohren. Es blieb alles im Rahmen, und trotzdem drang diese Musik in die Köpfe der Menschen ein.
    Auch ich konnte ihr nicht entkommen. Je länger Walter Shols spielte, desto mehr kam es mir vor, immer stärker der Wirklichkeit entrissen zu werden. Ich gab mich dem Taumel der Klänge hin und ließ mich von ihnen zwangsläufig einlullen.
    Ich wollte es nicht. Ich kämpfte mit aller Macht dagegen an. Ich wollte nicht mal auf meinem Platz sitzen bleiben. Als ich versuchte aufzustehen, da hatte ich das Gefühl, eine dreifache Schwere meines Körpers zu erleben.
    Mühsam streckte ich meinen Arm aus und drückte die Hand gegen Glendas Rücken. Sie reagierte zunächst nicht. Dann drehte sie sich so weit auf ihrem Stuhl herum, um mich anschauen zu können.
    Unsere Gesichter waren nicht weit voneinander entfernt. Jeder konnte den anderen genau

Weitere Kostenlose Bücher