1315 - Das Lied von Blut und Tod
harten Boden schlug und wirklich Sterne aufblitzen sah…
***
In den folgenden Sekunden war Mona ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Die Sterne waren zwar verschwunden, der Schmerz im Kopf allerdings nicht, und sie versuchte zunächst, sich innerlich zu sortieren und daran zu denken, was sie gesehen hatte.
Eine Fratze. Ein Maul, schon kein Mund mehr. Weit aufgerissen.
Dazu Zähne, die…
Nein, das war nicht das Stahlgebiss, mit dem sich ihr Bruder und sie so gern schmückten. Das war etwas anderes gewesen. Zwei spitze Zähne, wie man sie bei echten Vampiren fand.
Bei echten!
Diese beiden Worte dröhnten durch ihren Kopf. Sie sorgten dafür, dass sich ihre Aufregung steigerte. Es war einfach nicht zu fassen, aber den endgültigen Beweis hatte sie noch nicht bekommen, und den wollte sie haben.
Mit einer nahezu schon übermenschlichen Kraft richtete sich Mona auf. Stehen konnte sie nicht, da wäre sie schlichtweg eingeknickt. So entschied sie sich für eine sitzende Haltung mit der Wand als Stütze im Rücken. Der große Steinsarg lag genau in ihrer Blickrichtung, und tatsächlich kletterte ihr Bruder hervor.
Sie kannte Mike. Sie wusste, mit welch geschmeidigen Bewegungen er seinen Sarg verließ. Da steckte er voller Kraft und Energie. Diesmal war es anders. Es fiel ihm schwer. Er schob sich mühsam aus der Öffnung. Dabei hatte er sich gedreht und zeigte seiner Schwester den Rücken. Dabei hätte sie gern sein Gesicht gesehen.
Warum hat er mich geschlagen? Was habe ich ihm getan? So etwas hat er noch nie getan. Sie grübelte über eine Lösung nach. Es war keine zu finden. Und deshalb schaute sie ihrem Bruder bei seinen Bemühungen weiterhin zu, obwohl sie plötzlich das Gefühl überkam, einem Fremden zuzusehen.
Mike kämpfte sich regelrecht aus der steinernen Totenkiste. Es waren auch Begleitgeräusche zu hören. Nur klangen sie Monas Meinung nach nicht normal und von irgendwelchen Anstrengungen durchdrungen, diese hier glichen mehr einem wütenden Keuchen. Dazwischen war auch ein Knurren zu hören, das der jungen Frau sogar hungrig vorkam.
Je mehr Zeit verstrich, desto stärker nahmen die Vorgänge sie mit. Sie erlebte in ihrem Kopf ein Durcheinander. Hinzu kamen noch die Schmerzen, die nicht weichen wollten.
Dann hörte sie den Aufprall.
Der dumpfe Laut, mit einem leisen Klatschen verbunden, lenkte sie von ihren eigenen Problemen ab. Sie konzentrierte sich wieder auf ihren Bruder und sah ihn neben dem Sarg auf dem Boden liegen. Er war auf den Bauch gefallen. Sein Gesicht berührte den schmutzigen Boden. Er traf keinerlei Anstalten, sich zu erheben.
Hatte er sich verletzt?
Okay, der Sarg war zwar hoch, aber nicht so hoch, dass er bewusstlos hätte liegen bleiben müssen. Alles wies darauf hin, dass er sich irgendetwas eingeschlagen hatte.
Auch ihr ging es nicht besonders.
Trotzdem wollte Mona ihrem Bruder helfen. Sie brauchte sich nicht erst anzustrengen. Zwar hatte sie sich etwas in die Höhe gedrückt, als sie sah, dass sich ihr Bruder auf dem Boden liegend drehte.
Sie dachte, dass er sie anschauen und ihr etwas sagen wollte. Irrtum. Er tat nichts dergleichen. Er stemmte seinen Oberkörper noch höher und streckte die Beine aus. Dann der Ruck, und er stand.
Langsam richtete er sich auf.
Noch während er sich bewegte, fing das Herz der jungen Frau schneller an zu schlagen. Sie ahnte nichts mehr, sie wusste jetzt, dass mit Mike einiges nicht stimmte. Auch erinnerte sie sich wieder an sein Gesicht, das sie dicht am Sarg gesehen hatte. Es war so anders geworden und…
Er drehte sich um.
Sie starrte ihn an!
Hölle, das war sein Gesicht. Kein Zweifel, aber es hatte sich auf schreckliche Art und Weise verändert. Was ihr noch vor einem Tag Vergnügen bereitet hatte, das sah sie jetzt aus völlig anderen Augen.
Der Spaß war vorbei.
Auf dem Plan stand die grausame Wahrheit. Und das Restlicht der wenigen Kerzen reichte aus, um es Mona erkennen zu lassen.
Ihr Bruder Mike war zu einem echten Vampir geworden!
***
Noch schien er irgendwie zu üben. Zwar hielt er seinen Mund weit offen, um die beiden Blutzähne präsentieren zu können. Aber sein Maul stand etwas schief und das verzerrte auch sein übriges Gesicht. Es gab ihm einen clownhaften Anstrich, der ihr Angst machte.
Mona hatte genügend über die Blutsauger gelesen, um Bescheid zu wissen. So wusste sie, dass ein Mensch, der zu einem Vampir geworden war, am Beginn seines neuen Daseins mit Problemen zu kämpfen hatte, bis er seine
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