1315 - Das Lied von Blut und Tod
versprachen es.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Ja.«
Sie hob die Schultern. »Ich bin ja froh, eine Arbeit zu haben, auch wenn sie nicht gut bezahlt wird. Die Jobs sind trotzdem gefragt. Das weiß hier jede von uns.«
»Und was ist mit Norton?«, fragte ich.
»Darüber möchte ich lieber nichts sagen. Auf Wiedersehen.« Sie ging zur Tür und verließ das Büro.
»Eine arme Frau«, kommentierte Suko. »An ihr sieht man wieder, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist. Und wenn man noch solche Vorgesetzte hat, wird es noch trister.«
Der Vorgesetzte stieg soeben die Treppe hoch. Sein Gesicht war gerötet. Er sagte noch etwas zu Mrs. Delano, die darauf hin schneller ging. Dann betrat Norton das Büro.
»Jetzt haben Sie die Frau schon lange genug aufgehalten und…«
Ich ließ ihn nicht ausreden. »Sie sollten sich zusammenreißen, Norton, und mal daran denken, dass Sie es bei ihren Mitarbeiterinnen mit Menschen zu tun haben und nicht mit Maschinen. Auch wenn der Druck noch so groß ist, sollte man sich eine gewisse Menschlichkeit bewahren. Dann läuft auch vieles besser.«
»Was wissen Sie denn?«
»Nicht viel, aber wir sehen genug, Mr. Norton. Guten Tag.«
Suko und ich verschwanden und wünschten beide, ein wenig Nachdenklichkeit bei ihm hinterlassen zu haben. Aber viele Hoffnungen machten wir uns da nicht.
Der Rover stand auf dem Hof der Firma. Neben einem großen Lastwagen kam er uns direkt winzig vor.
Wir wollten einsteigen, als mein Handy klingelte. Es war Glenda Perkins, die mich sprechen wollte.
»Was Neues?«, fragte sie.
»Leider nicht. Aber dieses Lokal mit dem Namen Stigmata kristallisiert sich immer mehr hervor.«
»Das denke ich auch.«
»He, hast du geforscht?«
»Nicht nur ich. Shao und ich haben uns kurzgeschlossen und uns auf das Lokal konzentriert. Das Internet ist ein weites Feld, wie ihr bestimmt wisst.«
»Was habt ihr herausgefunden?«
»Dass das Stigmata etwas Besonderes ist. Man wirbt mit einer Person, die dort fast jeden Abend musiziert. Sie spielt das Lied von Blut und Tod, wie es auf den Seiten heißt.«
»Wie schön. Hat die Person auch einen Namen?«
»Ja, Vanessa.«
»Und weiter?«
»Keine Ahnung. Das Netz ist ja nicht allwissend. Aber der Name Vanessa scheint eine Rolle zu spielen. Laut Beschreibung soll sie eine tolle Künstlerin sein.«
»Nicht schlecht. Da wir von Mona und Mike noch keine Spur gefunden haben, wissen wir zumindest, an wen wir uns noch halten können.«
»Zumindest kennt sie die beiden.«
»Das glaube ich auch…«
***
Das Erwachen!
Mona Delano schlug die Augen auf. In den folgenden Sekunden war sie durcheinander und konnte nicht herausfinden, wo sie sich genau befand. Es war dunkel um sie herum, und wenn sie die Augen verdrehte und dabei nach oben blickte, dann fielen ihr die schwachen Umrisse der Öffnung auf, die sich über ihrem Gesicht befand. Sie sah auch den schwachen Lichtschimmer an deren Rändern, und das war genau der Punkt, der sie weiterbrachte.
Ihre Erinnerung setzte wieder ein!
Die Kapelle. Ihr Bruder. Hinzu kam Vanessa. Sie waren zu dritt und hatten die Nacht hier in den Särgen verbringen wollen. Nichts Neues, doch immer wieder spannend.
Sie blieb liegen. Es war nicht bequem, die Nacht in einem Sarg zu verbringen. Da haperte es auch mit der Bewegungsfähigkeit, und jetzt stellte sie sehr schnell fest, dass ihre Glieder ziemlich steif geworden waren und sicherlich schmerzen würden, wenn sie die Arme oder die Beine anwinkelte.
Sie versuchte es und stellte fest, dass sie Recht gehabt hatte. So etwas wie ein Muskelkater hatte sich in ihren Gliedern festgesetzt.
Zum Glück nichts Gravierendes, denn auch mit Muskelkater würde sie es schaffen, den Sargdeckel anzuhieven, denn sie wollte nicht mehr länger liegen bleiben.
Der rötliche Rand stammte vom Schein der wenigen Kerzen, die noch nicht erloschen waren.
Dass Vanessa die Kapelle verlassen hatte, wusste sie nicht. Mona vollführte aber die gleichen Bewegungen wie die Freundin. Auch sie legte die Hände unter den Deckel und drückte ihn behutsam nach vorn. Sie hörte das Kratzen von Stein auf Stein und sah, dass die Öffnung immer größer wurde. Auch sie achtete darauf, dass der Deckel am anderen Ende nicht kippte und zerbrach.
Monas Arme sanken wieder nach unten. Sie schaute sich die Öffnung an und war zufrieden. Sie würde problemlos aus der schweren Totenkiste klettern können.
Zwar musste sie sich dabei drehen und wenden, aber sie tat es nicht zum ersten Mal und
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