1318 - Terror am Totenbett
habe, dass die Einschläge näher kommen.«
»Wie das?«
Aus ihrem Gesicht verschwand ein Teil der gesunden Farbe. »Tja, ich habe versucht, meinen Bruder zu erreichen, aber er meldete sich nicht. Okay, ich gebe zu, dass unser Kontakt nicht unbedingt intensiv war. Ich bin beruflich viel unterwegs, arbeite in einer Model-Agentur und jette zwischen den Kontinenten hin und her. Ich bin so etwas wie ein Scout auf der Suche nach Gesichtern. So habe ich keinen großen Kontakt zur Verwandtschaft gehalten. Nun rief mich meine Mutter an und erklärte mir, dass Amos verschwunden ist.«
»Wie auch die anderen Mitglieder Ihres Clans.«
»Eben.«
»Ist die Polizei eingeschaltet worden?«
»Durch mich nicht. Darum kümmern sich andere Personen.« Sie lächelte mich mit geschlossenen Lippen an. »Ich werde trotzdem meinen Onkel besuchen, um zu erfahren, was ich erwarten kann. Es ist ja nichts Ungewöhnliches, denke ich.«
»Das ist schon wahr.« Als sie auf die Uhr schaute, sprach ich schnell weiter. »Wo lebt Ihr Onkel denn?«
»Ach, außerhalb. Das Gebiet gehört zwar noch zu London, aber es ist dort schon ziemlich ländlich.« Sie schlug auf den Tisch. »Mal schauen, wie ich zurechtkomme.«
Ich nahm Claudia Anderson die Sicherheit nicht so recht ab. Sie kam mir schon gespielt vor. Der Gedanke, dass einige Verwandte von mir verschwunden wären, würde auch mich nervös machen, davon ging ich aus. Und ich wusste nicht, ob es gut war, wenn sie zu ihrem Großonkel fuhr, der im Sterben lag.
Sie hatte mir angesehen, dass ich nachdachte. »Was ist los, Mr. Sinclair?«
»Ich mache mir meine Gedanken.«
»Das tue ich auch.«
»Vielleicht wäre es gut, wenn Sie jemanden mitnehmen, wenn Sie zu Ihrem Großonkel fahren.«
»Nein, nein, auf keinen Fall. Es geht um eine Erbschaft. Und wenn Menschen das hören, zeigen sie oft ihr wahres Gesicht. Darauf kann ich verzichten. So ungewöhnlich das Verschwinden der Leute auch ist, aber das muss ich allein durchziehen. Paul hat mir gesagt, dass ich allein kommen soll.«
»Wer ist Paul?«
»Lord Peters Butler. Er ist schon eine Ewigkeit bei ihm. Ich denke, dass er der einzige Mensch ist, dem er vertraut. Eine Frau gibt es nicht mehr. Sie ist tot.« Plötzlich konnte sie wieder lachen. »Mal sehen, was das Schicksal noch bringt.« Sie hob den Arm, um nach dem Besitzer zu winken, doch ich drückte ihn wieder nach unten.
»Bitte, die kleine Rechnung übernehme ich.«
»Danke.« Sie strahlte mich für einen Moment an. »Aber jetzt muss ich gehen.«
»Sagen Sie mir noch, wohin Sie fahren, bitte.«
»Warum? Haben Sie Angst um mich?«
Ich antwortete ausweichend. »Man kann ja nie wissen.«
»Okay, weil Sie es sind.«
Ich bekam meine Information, dann stand sie auf und zog ihren Mantel von einer Stuhllehne weg.
Auch ich erhob mich, half ihr in das Kleidungsstück, und sie sprach davon, dass es nicht mehr regnete, reichte mir dann die Hand und war erfreut darüber, dass wir uns kennen gelernt hatten.
»Kann ja sein, dass man sich noch mal wiedersieht.«
»An mir soll’s nicht liegen.«
»Überlassen wir es dem Schicksal.« Sie sagte dies im Gehen und winkte mir zum Abschied zu.
Ich setzte mich langsam wieder hin und schaute ihr nachdenklich hinterher. Das Bauchgefühl war wieder da. Ich spürte so etwas wie ein inneres Beben. Was mir Claudia erzählt hatte, war nicht zum Lachen gewesen. Menschen verschwanden, um die sich niemand kümmerte. Das war schon ungewöhnlich.
Aber war es meine Sache?
Nein, im Prinzip nicht. Nur war ich kein Mensch, der auf Prinzipien herumritt. Ich hatte sie schon oft genug durchbrochen und spielte mit dem Gedanken, es auch hier zu tun. Ich wollte Claudia Anderson nicht aus den Augen lassen. Es ging nicht nur darum, dass sie eine hübsche Frau mit tollen grünen Augen war, ich dachte noch einen Schritt weiter und konnte mir auch eine Bedrohung bei ihr gut vorstellen, und so hätte es mich nicht gewundert, wenn sie auch verschwand.
Der Patron trat an meinen Tisch. »Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Mister?«
»Die Rechnung.«
»Sehr wohl.«
Ich beglich den kleinen Betrag und machte mich dann auf den Weg zu meinem nächsten Ziel, zu New Scotland Yard…
***
Zufall? Schicksal? Das Würfelspiel des Lebens, bei dem der große Becher geschüttelt wird, um die kleinen Quader willkürlich zu schleudern, sodass Menschen plötzlich in Situationen geraten, an die sie im Leben nie gedacht haben.
Das alles gibt es. Das wusste auch ich, denn in meiner
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