132 - Die Seelenfänger
unten.
„Hast du mir überhaupt zugehört, Sebastian?"
Er spürte, wie er rot wurde.
„Jawohl, Mutter Arosa", sagte er. „Aber ich habe nicht alles verstanden. „Es klingt alles so verwirrend. "
„Vielleicht sollte ich…", begann die andere Frau, die noch im Zimmer war und Sebastian zutrauliche Blicke zuwarf.
Sie war vornehm gekleidet, mit Schmuck behangen und vermutlich nur halb so alt wie Mutter Arosa. Aber neben ihr wirkte sie wie eine auf gedonnerte Schaufensterpuppe und ebenso seelenlos und unpersönlich wie eine solche.
Auch sie war ganz in Schwarz.
Sebastian hatte keine Ahnung, was sie hier wollte und warum Mutter Arosa ihn mit ihr zusammenbrachte.
„Bitte!" sagte Mutter Arosa sanft, und die fremde Frau verstummte. „Unsere Aufgabe ist so schon schwer genug. Es würde es Sebastian nicht leichter machen, würden wir einfach mit der Tür ins Haus fallen."
„Ich finde, es ist alles nur unnützes Geschwätz", sagte die fremde Frau. „Wir vergeuden nur unsere Zeit."
Als zwischen den beiden Frauen ein kurzes Schweigen entstand, nahm Sebastian all seinen Mut zusammen und fragte:
„Kann ich jetzt gehen?"
„Nein!" herrschte ihn die Fremde an.
„Du mußt bleiben, Sebastian", sagte Mutter Arosa sanft. „Es geht um dich. Wir haben uns zusammengefunden, um dein weiteres Leben zu gestalten. Es geht um deine Zukunft, mein Junge." Sebastian verstand das nicht.
„Meine Zukunft?" wiederholte er. „Mir geht es hier doch gut. Ich habe alles, was ich brauche. Worüber sorgst du dich denn, Mutter Arosa?"
Mutter Arosa machte eine hilflose Geste, suchte offenbar nach den richtigen Worten. Die Fremde half ihr aus.
„Du kannst nicht ewig hier bleiben", sagte sie knapp. „Du bist alt genug, Sebastian… eigentlich schon zu alt für dieses Kinderheim… Du wirst auf eigenen Füßen stehen lernen müssen… Du bist für größere Aufgaben bestimmt."
Sebastian verstand nur eines: Man wollte ihn offenbar von hier wegholen.
„Willst du mich fortschicken, Mutter Arosa?" fragte er mit krächzender Stimme.
„Das siehst du falsch, mein Junge", sagte Mutter Arosa sanft. „Ich - wir beide - meinen es doch nur gut mit dir."
„Sebastian!" sagte die Fremde herrisch und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf sich. „Sieh mich an. Blicke mir fest in die Augen. Fühlst du denn nichts dabei?"
Sebastian wich ihren suchenden Blicken aus.
„Ich hasse Sie!" schrie er die Fremde an. „Sie wollen mich von hier fortholen. Sie wollen mir mein Heim nehmen!"
„Sebastian,. was sind das für Worte", tadelte Mutter Arosa. Zu der Fremden sagte sie: „Er meint es nicht so. Er weiß es nicht besser."
„Ich werde ihn schon bändigen", sagte die Fremde, und ein eigenartiges Lächeln spielte um ihren Mund. „Ich kenne ein Mittel, um ihn zur Räson zu bringen."
„Nicht! Bitte!" flehte Mutter Arosa. Sie sah wieder zu Sebastian. „Mein Junge, höre gut zu, was ich dir sage. Dies hier ist nicht dein Heim. Ich habe dich nur an Mutters statt aufgezogen. Diese Frau ist deine richtige Mutter!"
„Ja, Sebastian", sagte die Fremde. „Ich bin deine Mutter. Das ist die Wahrheit. Mein Junge…. komm in meine Arme."
Meine Mutter?
dachte er. Tränen schossen ihm in die Augen. Die Fremde war nie und nimmer seine Mutter. Sie war kalt und gefühllos. Und sie war böse. Das spürte er ganz deutlich. Er konnte sie nicht lieben, weil sie ihm nichts zu geben hatte.
„Geh hin", sagte Mutter Arosa sanft, aber mit tränenerstickter Stimme. „Geh zu deiner Mutter!"
„Das ist nie meine Mutter!" rief Sebastian entsetzt. Er sah es Mutter Arosa an, wie sie litt, und er schrie: „Du willst es doch selbst nicht, daß ich zu ihr gehe."
„Na, so ein Balg", sagte die Fremde. Sie bemühte sich gar nicht mehr um ,ein scheinheiliges Getue. Sie ließ die Maske fallen, wurde zornig. „Wenn das so ist, muß ich andere Saiten aufziehen."
„Ich hasse dich!" schrie Sebastian sie an. Dann drehte er sich um und rannte ins Freie. Hinter sich hörte er die Fremde mit kalter, plötzlich veränderter Stimme sagen:
„Ich mache das schon!"
Sebastian rannte so schnell er konnte. Er lief, was seine Beine hergaben. Er war wie von Sinnen. Er war so verzweifelt, daß er keinen anderen Ausweg wußte, als einfach davonzulaufen.
Aber er kam nicht weit. Er hatte das letzte Haus noch nicht erreicht, als ihn die Fremde einholte und ihn gegen eine Hausmauer drückte.
Sie kam ihm ganz nahe, bis ihn ihr Gesicht fast berührte.
„Ich bin nicht deine Mutter", sagte
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