1327 - Lady Sarahs Totenfrau
Wir stellten ihn noch einmal ab, schauten uns an, und es gab wohl keinen von uns Männern, der nicht feuchte Augen bekam. Selbst bei Sir James war das der Fall.
Und dann machten wir uns an diese so schreckliche und auch endgültige Aufgabe.
Langsam ließen wir den Sarg in die Tiefe. Ich wusste nicht, welche Gedanken durch die Köpfe meiner Freunde glitten, ich jedenfalls dachte daran, dass dies alles nur ein Traum sein konnte. Doch das harte Seil, das durch meine Hände glitt, belehrte mich eines Besseren. Es war leider kein Traum, sondern die verdammte Wahrheit, und daran würde ich noch lange zu knacken haben.
Der Sarg erreichte den Boden.
»Fertig?«, fragte Bill Conolly leise.
Wir waren es. Gemeinsam zogen wir die Seile weg. Der Fahrer des Wagens nahm sie entgegen und stieg wieder in sein Gefährt, um uns allein zu lassen.
Wir hörten kaum, wie der Wagen wieder abfuhr.
Es war ausgemacht, dass der Pfarrer einige Worte sprechen wollte. Auch Jane und ich mussten noch etwas sagen. Das war uns ein Bedürfnis. Sir James wollte ebenfalls noch Abschied nehmen und danach – nun ja, darüber dachte ich nicht nach. Ich hoffte nur, dass wir Lady Sarah eine normale Beerdigung ermöglichen konnten.
Der Pfarrer räusperte sich. Er hatte seinen Platz am Kopfende des Grabs eingenommen. Wir standen in einer Reihe davor. Neben mir weinte Glenda leise. Hin und wieder fasste sie nach meiner Hand.
Ich dachte wieder an das Totenbild und an Lysana mit ihren Geistern. Hatte sie wirklich aufgegeben? Oder wollte sie auch Lady Sarahs Geist zu ihrem Begleiter machen? Ausschließen konnten wir nichts. Seit dem Altertum war diese Person eine Begleiterin der Toten gewesen, und das würde sich bestimmt nicht ändern.
Das Gesicht des Pfarrers nahm einen Ausdruck an, der unsere Aufmerksamkeit erforderte. Es war klar, dass er in den nächsten Sekunden mit seiner kurzen Trauerrede beginnen würde.
Er öffnete auch den Mund.
Er holte Luft.
Aber er sprach nicht!
Etwas störte ihn. Er schaute an uns vorbei und hatte sogar den Kopf leicht schräg gelegt, weil er etwas Bestimmtes sehen wollte.
Und das schien ihm nicht zu gefallen, wie wir an seiner Reaktion erkannten. Er schüttelte jetzt den Kopf und hob die Schultern.
»Was ist los, Herr Pfarrer?«, fragte ich.
»Da… da … ist noch jemand gekommen«, flüsterte er mit einer Stimme, die kaum zu verstehen war.
»Wer?«
»Eine… eine Frau …«
In mir schrillten die Alarmglocken etwas später als bei meinen Freunden. Denn sie hatten sich bereits gedreht, und sie sahen das Gleiche wie ich.
Dort stand tatsächlich eine Frau, als wäre sie soeben aus den Büschen hervorgetreten.
Jane Collins und ich hatten sie auf dem Bild gesehen. Es war Lysana, und sie war noch immer nackt…
***
Allen stockte der Atem. Nicht mal der Pfarrer war in der Lage, eine Frage zu stellen. Sicherlich übte er seinen Beruf schon lange aus, aber so etwas wie hier war ihm noch nicht passiert. Er war wie vor den Kopf geschlagen.
Ich sah, dass er schwankte und nach Luft schnappte. Aber er fiel nicht und hielt sich auf den Beinen, nachdem er tief durchgeatmet hatte. »Was… wer ist … ist … das …?«
»Bleiben Sie ganz ruhig«, erklärte ich und stieß meinen Freund Suko an.
Wir lösten uns aus der Gruppe und gingen auf die Gestalt zu. Bill wollte ebenfalls mit, aber Sheila hielt ihn fest. Sie flüsterte ihm etwas zu, was ich nicht verstand. Nur Jane folgte uns.
Die Totenfrau stand auf dem Weg, wo er den dunkleren Teil des Friedhofs verließ. Sie schien selbst ein Grabmal zu sein, denn sie bewegte sich nicht, stand völlig starr. Die dunklen Augen waren auf uns gerichtet, und alles deutete darauf hin, dass sie auf uns wartete.
Jane hatte uns erreicht. »Was tun wir?«
»Zuerst mal nichts«, murmelte ich.
»Kein Angriff?«
»Nein, Jane. Noch nicht.«
»Sie hat etwas vor, John. Sie will bestimmt nicht Sarah Goldwyns Leiche entführen, aber sie will an ihren Geist heran, das sage ich dir. An ihre Seele, die sie sichtbar machen kann. Oder wie schätzt du die anderen Gestalten ein?«
»So ähnlich…«
Es gibt Momente, da kann man die Gefahr riechen. Dieser hier gehörte nicht dazu. Lysana machte auf uns keinen gewalttätigen Eindruck. Sie schien uns erwartet zu haben, und als Jane sagte, dass sie vorgehen und mit der Gestalt reden wollte, hatten wir nichts dagegen.
»Wie will sie das denn anstellen?«, fragte Suko.
»Überlass es ihr. Sicherlich auf geistiger Ebene.«
»Dann warten wir mal
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