1328 - Die Harmonie des Todes
nach Belieben entlanggleiten konnte.
Für das subjektive Zeitempfinden eines Netzgängers dauerte der Passagevorgang durchaus merklich an - Salaam Siin hatte bei jeder Abzweigung Gelegenheit, den richtigen Weg anzuvisieren. In Wahrheit ging der Transport jedoch ohne Zeitverlust vonstatten. Man hatte ihm erklärt, daß es sich dabei um Absolute Bewegung handelte, doch Salaam Siin hatte nicht wirklich verstanden. Die Details waren ihm gleich. Er wollte lediglich am Netz entlanggleiten und seine Ziele erreichen, sofern ein Präferenzstrang sie berührte.
Auf Zaatur rematerialisierte er unter der immateriellen Halbkugel, die einen Austrittspunkt aus dem Netz repräsentierte. Seine Kombination hatte er mit einem Gewand aus schreienden Farben getarnt. Er wußte, daß dies keinem Ophaler ins Auge fallen würde - liebten sie doch allesamt exzentrische Kleidung und auffälliges Gebaren.
„He, Fremder!"
Salaam Siin fuhr herum. Seine zwölf Tentakelarme bildeten unwillkürlich einen Abwehrblock, der im Ernstfall aber wenig genutzt hätte.
„Wie kommst du hierher, Fremder? Das ist verdächtig ..."
„Schweig!" sang Salaam Siin. Er wunderte sich selbst über seine Kaltblütigkeit. Zwar hatte er nicht damit rechnen könneri, daß ausgerechnet in dieser verlassenen Gegend seines Heimatplaneten ein anderer Ophaler ihn auftauchen sah, aber er wollte das Beste daraus machen. „Ich bin in höchstem Auftrag hier. Du hast mir nicht in die Quere zu kommen!"
Dabei unterlegte er seinen Gesang mit psionischem Druck, der die Aufmerksamkeit des anderen einschläfern sollte. Tatsächlich - es gelang! Allein dieser Erfolg demonstrierte Salaam Siins ungewöhnliche Klasse als Sänger. In der Regel hätte es mindestens zehn Ophaler bedurft, um einen solchen Effekt zu erzielen.
„Aber...", wagte der andere, ein riesenhafter Agrotechniker mit tiefroter Haut, einzuwenden, „ich sah dich aus dem Nichts erscheinen!"
Salaam Siin gab einen knarrenden Akkord der Ungeduld von sich. „Hast du noch nie von Deflektoren gehört? Und nun scher dich weg, bevor ich ungeduldig werde. Meine Ehre ist sehr verletzlich, wenn du weißt, was ich meine..."
Der Agrotechniker schaute noch eine Weile unschlüssig. Dann aber machte er, daß er seinen abgestellten Ernteschweber bestieg und fortkam.
Salaam Siin lachte befreit auf. Er wußte, daß nicht jeder Zwischenfall derart glimpflich ausgehen würde. Aber er hatte gleichzeitig aus erster Hand die Gefahren kennen gelernt, womit ein Netzgänger im Einsatz leben mußte. Alaska Saedelaere hatte ihn darauf vorbereitet... Eine Warnung, welche die eigene Erfahrung ersetzte, gab es allerdings nicht, und sie beide hatten es gewußt.
Nach ein paar fruchtlosen Stunden auf Zaatur machte sich Salaam Siin wieder zum Einstiegspunkt in das Psionische Netz auf. Er fand problemlos die mattleuchtende Halbkugel und fädelte sich ein, ohne daß er nochmals gesehen wurde. In objektiver Nullzeit erreichte er Sabhal, den zentralen Stützpunkt der Netzgänger.
Alaska Saedelaere wartete schon an einer Syntronikkonsole nahebei.
„Wie steht es, Sänger, wollen wir uns jetzt um dein Raumschiff kümmern?"
*
Salaam Siin begutachtete stundenlang Bauzeichnungen, Entwürfe und Entwicklungsprojekte. Er schaute sich Holoprojektionen an und ließ gleichzeitig auf einem Monitor Datentabellen vorbeiziehen. Nichts davon schien ihm brauchbar genug. „Nein, Alaska Saedelaere; von euren Netzschiffen sagt mir keines zu.
Ich brauche etwas Spezielles, auf meine Bedürfnisse zugeschnitten ... Bedenke: Ich bin ein Sänger, und sowohl Akustik als auch Psionik sind schwierige Gebiete."
„Dann hilft alles nichts", entgegnete der dürre Terraner. Er schien nervös und angespannt. „Ich werde dich und die Syntronik ein paar Tage allein lassen. Dann sehen wir uns wieder."
„Wohin gehst du, Alaska?"
Der Terraner schnitt eine Grimasse, von der Salaam Siin inzwischen wußte, daß sie ein feines Lächeln war. „Ich habe dir einmal von dem See Talsamon erzählt, Sänger.
Kümmere du dich um dein Netzschiff. Ich bin bald zurück."
Salaam Siin stürzte sich mit Feuereifer auf die neue Aufgabe. Nun lernte er schätzen, welch einen Vorteil die modernen Syntroniken von Sabhal gegenüber herkömmlichen Rechnern boten. Er ließ innerhalb weniger Minuten ganze Schiffssektionen ändern und neu durchrechnen; beinahe jede Stunde war ein Entwurf in ganzer Konsequenz durchgespielt.
Zuletzt aber, als vier Tage verstrichen waren, hatte er Erfolg. Das
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