1328 - Die Lust und der Tod
Ausrede?«, flüsterte Bea. »Ich warne dich, Jane. Ich würde es merken.«
»Die brauche ich mir nicht zurechtzulegen. Ich weiß schon, was ich sagen will.«
»Dann höre ich. Tu dir keinen Zwang an.« Sie lächelte wieder hintergründig. »Wir sind fast alleine hier.«
Über das Wort fast wollte Jane sich nicht den Kopf zerbrechen.
Dass es weitere Überraschungen geben würde, damit rechnete sie.
So etwas wie dies zog niemand allein durch. Jane versuchte auch, sich keinen Stress anmerken zu lassen und locker zu bleiben.
»Du hast dich nicht geirrt. Ich bin nicht rein zufällig hier erschienen. Ich habe etwas gehört, und dem bin ich nachgegangen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Nein, so gut bin ich nicht. Weiter…«
Jane nickte. Sie löste ihre Hand von dem Körper. »Ich habe etwas gehört. Es war eine Warnung, die ich einfach nicht überhören konnte. Schreie, die mich aufschreckten. Eine schlimme Pein hielt die Frauen umklammert. Sehr schlimm. Sie leiden, sie werden geknechtet, und sie haben versucht, Hilfe zu holen. So bin ich auf sie gestoßen. Sie haben mir telepathisch übermittelt, wo ich sie finden kann. Und deshalb bin ich auf den Art Palace gekommen.«
Bea Hunt sprach nicht. Sie konzentrierte sich auf Jane Collins. Sie schaute ihr ins Gesicht und suchte nach einem Hinweis auf eine Lüge. Aber Janes Miene war ausdruckslos, und sie hoffte, damit durchzukommen.
»Ich glaube dir, dass du anders bist und dass du es gefühlt hast, Jane. Aber ich habe Probleme, dir alles zu glauben. Da verlasse ich mich auf meine Nase. Die Begierde, die Lust und der Tod. So hat der Künstler sein Werk genannt. Eigentlich sind sie tot. Jeder Betrachter sieht die nackten Frauen als tot an. In Wirklichkeit leben sie, und das haben sie schon öfter bewiesen. Sie sind gefangen, doch nicht so, als dass du es nicht gespürt hättest. Es ist gut, dass du gekommen bist, denn nur durch dich habe ich den Beweis erhalten, dass sie tatsächlich nicht tot sind, auch wenn sie so unbeweglich sind. Aber wer kann schon Hexen töten oder will sie töten, wenn er selbst mit ihnen paktiert?«
»Sie paktieren mit ihnen?«
»Ja, jetzt schon. Es gab Zeiten, da sah es anders aus. Aber ich habe hinzugelernt. Ich weiß, dass es nicht nur Menschen gibt, sondern auch ganz besondere unter ihnen, und es ist interessant, mit ihnen Experimente durchzuführen.«
»Das haben nicht Sie getan?«
»Nein. Der Künstler.«
»Und wer ist er?«, hakte Jane nach, die die Plastik zunächst vergessen hatte.
»Ein bedeutender Mensch. Sehr sensibel und großartig. Ein wahrer Meister seines Fachs, der alles beherrscht. Als er das Originalbild sah, war es um ihn geschehen, und er wollte es nachmachen.«
»War das wirklich ein Bild?«, fragte Jane. »Ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Es war ein Bild, aber kein Gemälde. Gerard Duval hat daraus eine Plastik erschaffen. Er hat sich der Faszination einfach nicht etnziehen können. Er musste es tun. Es war wie eine Botschaft, die er erhalten hat. Und seinen Erfolg kannst du besichtigen. Selbst die Frauen sehen fast so aus wie auf dem Original. Nur hat Duval etwas erreicht, was der erste Künstler nicht schaffte. Dieses Bild besitzt Leben. Es steckt eine andere und auch eine besondere Kraft in ihm. Eingeweihte wissen dies. Andere spüren es nur, so wie die meisten Besucher, für die gerade dieses Kunstwerk interessant ist. Du müsstest sie sehen, wie sie es umschleichen. Wie fasziniert sie davon sind. Wie sie sich nicht trauen, es zu berühren, obwohl sie es gern täten. Doch ihre Hände zucken immer im letzten Augenblick zurück. Außerdem wird das Kunstwerk bewacht. Und wenn man den Besuchern dann zuhört, wenn sie sich entfernen, dann gibt es nicht wenige, die davon sprechen, dass dieses wundersame Bild auch lebt. Ja, für sie lebt es einfach. Auch wenn sie die Wahrheit nicht kennen, sie spüren es instinktiv, und das gefällt mir.«
»Den Frauen aber nicht.«
Bea Hunt breitete die Arme aus. »Wer weiß das schon? Ich habe mit ihnen nicht kommuniziert. Es kann sein, dass sie Qualen erleiden, aber sie können sich nicht äußern.«
»Im Normalfall wohl nicht. Aber ich weiß es. Dass ich hier bin, basiert auf einem Schrei nach Hilfe. Sie wollen nicht mehr länger Gefangene sein, verstehen Sie das? Sie wollen befreit werden. Endlich raus aus diesem Zustand.«
»Und deshalb bist du hier?«
»Auch.«
Bea Hunt sagte diesmal nichts. Sie schaute Jane nur an und betrachtete sie mit einem Blick, als
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