133 - Dämonenerbe
gesehen hatten.
So erinnere dich doch, Coco!
Und sie dachte an die Träume, die sie ständig verfolgt hatten, Träume, die sie im Morgen rauen bereits vergessen hatte. Träume, die von Merlin gesteuert wurden. Träume, die von kommenden Tagen berichteten, geheimnisvoll und düster wie der Keller, in dem sie sich befand.
Die Vergangenheit holte sie ein.
Die Fackel brannte zischend herunter. Die Gedanken an Rebecca schob sie weit zurück.
Einer jener Träume wurde ihr nun bewußt…
Merlin kam auf sie zu. Sein Gesicht war ernst, sein Blick fast feierlich.
„Irgendwann einmal wird der Tag kommen, da wirst du vergessen haben, daß du mir geholfen hast", sagte er. „Du wirst deine Aufgabe erfüllen. Dein Leben wird gefahrvoll sein, voller Schrecken und Abenteuer, aber du wirst auch glückliche Stunden verleben. Du wirst einen Gefährten haben, für den du dein Leben opfern würdest. Ich werde für dich nur ein Name sein, mit dem sich unzählige Legenden verbinden. Du wirst und mußt mich einmal vergessen. Doch später, viel später, wirst du dich wieder an mich erinnern und an die Aufgaben deiner Jugend. Du wirst viel leiden, kleine Coco. Du bist eine Auserwählte, die eine wichtige Aufgabe erfüllen muß."
Merlins Bild verblaßte.
Doch der Traum ging immer weiter…
Ein Mann stand breitbeinig vor ihr. Er war groß, schlank und ein wenig schlampig gekleidet. Sein Haar war schwarz, seine Augen waren grün, und ein buschiger Schnurrbart wölbte sich über seinen Oberlippen, dessen Spitzen nach unten hingen.
Sie war völlig nackt und ihr war bitterkalt.
Der Mann keuchte. Der Atem stand wie eine weiße Wolke vor seinem Mund.
Sie starrte ihn furchtsam an, er lachte.
„Burn, witch, turn!" keuchte er und hob sie hoch.
Sie war gefesselt, und über ihren Lippen klebte ein Pflaster.
Dann sah sie den Scheiterhaufen, auf den er sie zutrug.
„Hexen müssen brennen!" schrie er und warf sie auf den aus Ästen und Holzstücken gebildeten Scheiterhaufen. „Du bekommst deine verdiente Strafe, verfluchte Hexe."
Ihre Augen baten um Gnade, als er sich bückte und sein Feuerzeug herausholte. Er knipste es an und steckte eine Zeitung in Brand. Innerhalb weniger Sekunden brannte sie lichterloh.
Dann trat er einen Schritt zurück. Einer der Äste fing Feuer. Sein Gesicht war haßverzerrt.
„Brenne, Hexe, brenne!"
„Dieser Mann wird dein Schicksal werden, Coco", vernahm sie nun wieder Merlins Stimme.
Ich will seinen Namen wissen!
„Er hat viele Namen gehabt, mein Kind", raunte ihr Merlin zu. „Du wirst ihn als Dorian Hunter kennen und lieben lernen. Die Dämonen werden ihn als Dämonenkiller hassen und fürchten. Aber das liegt noch weit in der Zukunft, mein Kind. Jahre werden vergehen, bis du ihn kennenlernst. Ihr beide werdet irgendwann vollenden, was ich jetzt begonnen habe. Vieles ist vorbestimmt, doch manches ist veränderlich. Fast nichts ist unabwendbar. Ich werde dich beschützen, Coco. Ich wache über dich. Ich helfe dir. Ich lasse dich nicht allein. Schlafe weiter, mein Kind."
Coco starrte in die qualmende Fakkel. Sie träumte nicht, sie hatte sich nur an einen Traum erinnert, der Wahrheit geworden war.
Dorian Hunter war ihr Gefährte, und er hatte sie tatsächlich verbrennen wollen, doch da hatte Norbert Helnwein eingegriffen und ihm die Augen geöffnet.
Weshalb erinnere ich mich heute plötzlich an so viele Dinge, die ich jahrelang vergessen hatte? wunderte sich Coco.
Merlin war tatsächlich nicht mehr als eine Legende für sie gewesen. Daß sie diesen mächtigen Magier einmal zu ihrem Freund und Verbündeten zählte, war ihr total entfallen.
„Merlin", flüsterte sie. „Kannst du mich hören?"
Die Wände schwiegen.
Die Fackel erlosch.
Wie betäubt stieg sie die Treppe hoch. Noch immer waren Teile ihres Erinnerungsvermögens blockiert, doch bald schon würde sie sich an mehr erinnern können. Bald schon.
Sie beschäftigte sich mit der Gegenwart. Rebecca war entführt worden, was konnte sie zu ihrer Befreiung unternehmen? Vorerst einmal wollte sie mit Dorian sprechen. Vielleicht konnte er ihr weiterhelfen. In Wahrheit wollte sie einfach den Klang seiner Stimme hören.
Kurz nach neun Uhr betrat Coco das Wohnzimmer. Eine Wand des Zimmers beherrschte ein riesiges Bücherregal, das bis zur Wand reichte. Neben uralten magischen Schriften standen Unterhaltungsromane. Ihr Vater hatte eine Schwäche für SF-Romane gehabt, und ihre Mutter war eine Liebhaberin von harten Krimis gewesen.
Gegenüber der
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