1330 - Die Kopfgeldjägerin
sind Sie?«
Da war ich an der falschen Adresse. »Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen meinen Namen sage?«
»Warum nicht? Haben Sie etwas zu verbergen?« Mir gefiel der Fortlauf des Gesprächs ebenso wenig, wie mir die Frau sympathisch war. Irgendwas störte mich. Sie schien auf einem Trip zu sein, war dabei nicht vollgedröhnt, sondern konnte auch irgendwelche seelischen Problemem mit sich herumschleppen und reagierte deshalb so ungewöhnlich.
»Ich habe nichts zu verbergen«, erklärte sie mir. »Aber wir sind uns fremd, und das wird auch wohl so bleiben.«
»Fremd?« Ich lächelte mokant. »Das stimmt schon. Obwohl Sie mich beobachtet haben.«
Die Frau legte den Kopf schief. Dabei nickte sie. »Ich gebe zu, dass ich es getan habe.«
»Ach. Und warum?«
»Es war die reine Neugierde.«
Ich hätte jetzt überrascht und auch geschmeichelt sein können.
Das war ich aber nicht. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die sich darauf etwas einbilden, von einer Frau beobachtet zu werden. So ein toller Hecht bin ich nicht. Bei meinem Job muss man immer wieder auf bestimmte Fallen oder Ereignisse gefasst sein.
»Also«, sagte ich mit harter Stimme. »Was wollen Sie wirklich von mir, Madame?«
»Hm, das ist schwer zu sagen, aber trotzdem ganz einfach. Ich bin gekommen, um Sie zu töten, Sinclair!«
Noch während sie sprach, zog sie die rechte Hand aus der Manteltasche und ließ mich in die Mündung eines Revolvers blicken…
***
Nein, damit gerechnet oder auch nur daran gedacht hatte ich nicht.
Ich stand wirklich wie ein Trottel da, denn mein Gesichtsausdruck brachte die Frau zum Lachen.
»Wenn Sie sich jetzt im Spiegel sehen könnten, Sinclair«, fügte sie noch hinzu, »dann würden Sie über sich selbst den Kopf schütteln. Das können Sie mir glauben.«
»Möglich«, erwiderte ich und schaute auf den Revolver, der keinen Schalldämpfer hatte. Das war auch egal, denn einen Schuss würde man kaum hören. Außerdem befand sich niemand in der Nähe. Dieser Friedhof gehörte zu denen, die nur wenig frequentiert wurden.
Wie sollte ich mich verhalten? Es war vom Prinzip her ganz einfach. Ich musste auf der Stelle stehen bleiben und nichts tun.
Keine falsche Bewegung, denn diese Frau durfte ich auf keinen Fall unterschätzen. Sie war ein Profi, sie wusste genau, wie weit sie gehen konnte, aber sie war auch ein Mensch und keine dämonische Kreatur in menschlicher Gestalt. Wäre es so gewesen, dann hätte sich mein Kreuz »gemeldet«.
Die Frage war, warum sie mich gestellt hatte? Weshalb wollte sie mich töten? Außerdem musste sie mich beobachtet haben, sonst hätte sie mich nicht hier stellen können. Je länger ich darüber nachdachte, desto stärker festigte sich in mir der Schluss, dass ich eine Killerin vor mir hatte. Eine Person, die für Geld tötete und die man mieten konnte.
»Sie also sind der große John Sinclair«, stellte sie fest. Der Hohn in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Die Person, vor der man mich gewarnt hat. Die angeblich in dieser Stadt Zeichen gesetzt hat.« Sie lachte mich aus. »Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach sein würde. Das ist beinahe schon eine Beleidigung für mich.«
»So kann man sich irren.«
Sie ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Dabei habe ich einiges über Sie gelesen. Man hat mir Informationen zukommen lassen, die ich mir einprägen konnte. Ich habe wirklich überlegt, ob ich den Job annehme, aber dass es dann so leicht werden würde, ist selbst für mich eine große Überraschung. Aber so ist das Leben. Es steckt immer voller Überraschungen.«
Ich hatte sehr genau aufgepasst, was sie sagte, und mir war dabei auch ein Licht aufgegangen. Diese Frau, deren Namen ich nicht mal kannte, war nicht erschienen, weil es ihr einfach Spaß machte, einen wildfremden Menschen zu töten – so etwas gab es leider auch –, sie war gekommen, weil sie einen Auftrag erhalten hatte. Jemand hatte sie beauftragt, mich umzubringen.
Für mich schloss sich sofort die nächste Frage an. Wer also steckte dahinter?
Antworten gab es genug. Meine Finger reichten nicht aus, um nachzuzählen, wer mich alles tot sehen wollte. Da stand seit neuestem der Schwarze Tod an erster Stelle, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass er dahinter steckte. Dieser mächtige Dämon verließ sich in der Regel auf andere Methoden. Wobei es wiederum keine Regel ohne Ausnahme gab, das wusste ich auch. Er musste nicht nur in seinen engen Schienen agieren, sondern konnte auch eine
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