1330 - Die Kopfgeldjägerin
noch Luft und ruhte mich aus.
Dann schaute ich sie mir an.
Sie lag auf dem Rücken, und als ich ihre linke Halsseite betrachtete, wusste ich sofort, was hier passiert war. Justine Cavallo hatte sich ihr Opfer gesucht. Wie ich sie kannte, musste sie Elsa Gunn bis auf den letzten Tropfen leer gesaugt haben.
Nein, tot war sie nicht. Irgendwann würde sie erwachen und sich auf die Suche nach dem Lebenssaft der Menschen machen.
Das durfte ich nicht zulassen. Es lag an mir, dies zu verhindern.
Ich konnte meine Waffe wählen. Entweder die Pistole oder das Kreuz. Noch war keine Entscheidung getroffen, und als ich nach dem Kreuz greifen wollte, hörte ich hinter mir Schrittgeräusche, die allerdings ziemlich unregelmäßig klangen.
»Du brauchst dich nicht umzudrehen, John, ich bin es.«
Suko kam, und als ich ihn sah, stellte ich fest, dass auch er von Justine überrascht worden war. Aus einer Kopfwunde sickerte noch Blut. Sein Grinsen sah ziemlich gequält aus.
»Sie hat mich reingelegt, John.«
»Mich auch«, flüsterte ich.
Suko hatte noch nicht alles mitbekommen und fragte deshalb:
»Was ist mit ihr?«
»Justine hat sie leer gesaugt.«
Er nickte nur. Dann sagte er: »Wer macht es?«
»Ist mir egal.«
»Du hast die älteren Rechte. Dich hat sie zwei Mal töten wollen. Jetzt ist es dein Spiel.«
Ich nahm das Kreuz. Nein, es tat mir nicht Leid, als ich es auf die Brust der Kopfgeldjägerin legte.
Der Kontakt war kaum da, als sich der Körper aufbäumte. Wie bei manch echter Leiche, aus der noch mal letzte Gase entwichen, die den Körper in die Höhe schleuderten.
Ich hörte ein Zischen. Ich roch verbranntes Fleisch unter dem T-Shirt, und dann brach der Blick.
Jetzt war Elsa Gunn, die Kopfgeldjägerin, endgültig tot. Und ich empfand wirklich kein Bedauern darüber…
***
Irgendwann stand auch ich wieder auf den Beinen. Ich hatte es auch geschafft, den Notarzt anzurufen, auf dessen Eintreffen Suko und ich warteten. Es würde ein paar Minuten dauern. So hatte ich Zeit, meinem Freund den Stab wieder zurückzugeben.
»Ich wusste nicht, wie ich dir hätte helfen sollen«, sagte er. »In das Haus kam ich nicht hinein. Die Scheibe einschlagen wollte ich auch nicht. Es hätte verkehrt sein können.«
»Du hast das Optimale getan. Danke.«
»Nur nicht an unsere Freundin gedacht.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Man ist eben nicht allwissend. Aber wenn ich daran denke, dass sie bei uns beiden auch freie Bahn gehabt hatte, um unser Blut zu trinken, wird mir ganz anders.«
»Sie braucht uns eben.«
Irgendwie stimmte das. Es ging um etwas Höheres. Aber die Zeiten würden sich auch wieder ändern, da war ich mir sicher.
Als ich aus der Ferne schon den Klang der Sirene wahrnahm, ging ich zum Tisch. Die Kinder saßen jetzt auf dem Boden. Sie weinten und streichelten ihre Mutter, die trotz der Schmerzen fast glücklich lächelte, weil sie den Nachwuchs um sich wusste.
»Es wird nicht mal zwei Minuten dauern, dann sind Sie in ärztlicher Behandlung.«
»Und was ist mit Ken?«
»Er lebt. Aber er ist bewusstlos. Auch um ihn wird man sich kümmern. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Aber meine Kinder…«
»Wir sagen der Großmutter Bescheid. Die kommt bestimmt.« Der Junge nickte heftig.
»Ja, Timmy, du hast Recht.« Über die Lippen der Frau huschte ein Lächeln. Dann wurde sie bewusstlos. Die Verletzung forderte einfach ihren Tribut.
Ich sah, dass die Geschwister weinten und erklärte ihnen, dass alles gut werden würde. »Denn ihr müsst eines wissen«, fügte ich noch hinzu.
»Was denn?«, fragte das Mädchen, rieb dabei Tränen aus seinen Kulleraugen und zog die Nase hoch.
»Mütter mit so tollen Kindern wie ihr es seid, die haben immer einen Schutzengel.«
»Ehrlich?«, fragten beide wie aus einem Mund.
»Superehrlich«, sagte ich und hob meine Hände wie zum Schwur. Beide konnten wieder lachen. In diesem Fall war es das schönste Geschenk, das man mir machen konnte…
ENDE
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