1331 - Hochzeitskleid und Leichenhemd
Arme wie abgestorben, und es ging so weiter. Dann würde er mitbekommen, wie er Stück für Stück starb.
Seine Sinne hatten auch jetzt nicht gelitten, obwohl die Angst über ihnen lag wie eine dicke Decke.
Harry hörte etwas…
Es war ein Geräusch, das nicht in seiner Nähe aufgeklungen war.
Wahrscheinlich noch draußen. Es hatte ihn abgelenkt. In den folgenden Sekunden vergaß er sein eigenes Schicksal und konnte nur noch lauschen.
Es war an der Tür. Genau dort und nirgendwo anders. Da vernahm er es, und plötzlich durchjagte ihn wieder ein Strahl der Hoffnung. Befand sich doch noch jemand im Schloss? Jemand vom Personal, der einen letzten Rundgang machte?
Er wünschte es sich so sehr. Er wollte aus diesem verdammten Zimmer geschleppt werden. Vielleicht schaffte es ein Helfer nicht mehr, ihn vom Sterben abzuhalten, aber er konnte ihn zu einem anderen Ort bringen, nach draußen in die Sonne oder zu einem Arzt, der dafür sorgte, dass die Totenstarre aufgehalten wurde oder völlig verschwand.
Diese Gedanken sorgten bei ihm wieder für Hoffnung. Er konnte sich auch bemerkbar machen und meldete sich mit schwacher Stimme.
Harry erlebte keine Reaktion auf seinen Ruf, aber er hörte etwas anderes vorn an der Tür zur Suite. Das leise Quietschen der Angeln war einfach nicht zu überhören. Obwohl er die Tür noch nicht sah, wusste er schon, dass man sie aufgestoßen hatte.
Ja, es würde jemand kommen!
Noch zeigte sich seine Freude gedämpft, aber sie steigerte sich mit jedem Schrittgeräusch, das er mitbekam. Die Person bewegte sich auf ihn zu, daran gab es keinen Zweifel.
Es kostete ihn große Anstrengung, wieder den Kopf zu heben, um nach vorn zu schauen. Es lohnte sich. Er sah eine Person, eine Frau. Bestrumpfte Beine, ein schwarzer Rock.
»Bitte«, flüsterte er, »bitte…«
Die Frau reagierte auch. Nur nicht so, wie er es sich gedacht hatte. Sie ging jetzt schneller, blieb neben ihm stehen und fing an zu lachen.
Harry Hilton konnte sich keinen Reim darauf machen. Er war nicht in der Lage, diese Reaktion nachzuvollziehen. Niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, eine hilflose Person einfach auszulachen. So war er einfach nicht gestrickt, aber bei der Frau war es anders.
Sie lachte nicht ihn aus, sie amüsierte sich über die Situation, in der er steckte.
Das Gelächter hallte durch den Raum und hörte sich ab und zu an wie ein heftiges Gemeckere.
Abrupt verstummte es.
Harry schöpfte wieder Hoffnung!
Eine Stimme erreichte ihn nicht. Aber die Frau blieb bei ihm und bewegte sich. Dabei ging sie in die Hocke, um ihm so nahe wie möglich zu sein. Schließlich nahm sie die Haltung auf allen vieren an, drückte den Kopf noch weiter vor und legte ihn schief, damit sie in das Gesicht des junges Mannes schauen konnte.
Diesmal lachte sie nicht nach dem ersten Blickkontakt, sie kicherte. Das klang in Harrys Ohren noch schlimmer, und somit brach seine Hoffnung endgültig zusammen.
»Schau an, schau an, wen haben wir denn da…?«
Die Stimme. Harry lauschte der Stimme. Sie war ihm nicht fremd.
Er kannte sie. Er hatte sie schon gehört, und es lag noch nicht lange zurück. Aber er hörte die Frau nicht nur sprechen, er erkannte auch ihr Gesicht, und nun war ihm alles klar.
Diese Person hatte Marietta das Hochzeitskleid verkauft. Sie hieß
… sie hieß …
Ihm fiel der Name nicht ein, aber die Frau sorgte dafür, dass es anders wurde.
Sie selbst machte sich bekannt und sagte mit leiser Stimme. »Ich bin Margot Kiddy, kennst du mich nicht mehr?«
»Doch, ja.«
»Ich habe deiner kleinen Braut das Kleid verkauft, denn ich wollte, dass die alte Magie wieder erweckt wird. Ich musste es wissen, verstehst du das?«
»Nein, das verstehe ich nicht. Wie kann man so etwas nur machen? Du bist doch ein Mensch?«
»Ja, das bin ich. Aber auch ein besonderer, darauf kannst du dich verlassen. Ich habe das Brautkleid bekommen. Ich habe schon einiges darüber gelesen, und ich war glücklich, es in den Händen zu halten. Gern habe ich es nicht abgegeben, doch ich wollte wissen, ob der alte Fluch noch besteht. Man sagt ja, dass der Teufel persönlich es genäht haben soll. Das finde ich wunderbar.«
»Es gibt keinen Teufel.«
»Wenn du dich da mal nicht irrst.«
»Es gibt einen Herrgott«, sagte Harry Hilton gequält. »Ja, ihn gibt es. Aber keinen Teufel, verdammt noch mal.«
»Du wirst es anders erleben. Er ist doch schon dabei, dich zu holen. Du bist in den Bann des Kleides hineingeraten. Weil dies so ist, weiß
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