1334 - Der Ghoul und die Witwe
anders und über ihr Gesicht huschte ein breites Grinsen. Im engen Flur drehte sie sich wortlos zur Seite, um Jane den Weg freizugeben.
»Geh nur. Geh weiter. Du wirst ihn sehen!«
»Wen?«
»Lou, meinen Nachbarn.«
»Und wen werde ich noch treffen?«
Auf diese Frage erhielt die Detektivin nur ein schrilles Lachen als Antwort.
Jane wusste Bescheid. Der Gestank sagte ihr alles. In der Wohnung hatte er sich noch verstärkt. Wäre es möglich gewesen, ihn sichtbar zu machen, so hätte er sicherlich wie ein dichter Nebel zwischen den Wänden gehangen.
Der Mut verließ Jane zwar nicht, aber sie drängte ihre Forschheit etwas zurück.
Sie wusste nicht, was sie genau in dem Zimmer erwartete, dessen Tür offen stand. Jedoch nur einen Spalt, sodass Jane keinen Blick in den Raum hineinwerfen konnte.
Sie trat die Tür auf.
Der Gestank war da.
Aber nicht mehr so stark. Und es lag daran, dass ein Fenster bis zum Anschlag offen stand…
***
Jane Collins war überrascht und auch sauer, weil sie den Ghoul nicht sah, dem sie liebend gern eine Silberkugel in die Schleimmasse gejagt hätte. Er musste es gespürt oder gerochen haben, wie auch immer. Jedenfalls hatte er es geschafft, durch das offene Fenster zu fliehen, und das befand sich an der Seite des Hauses, die nicht zur Straße hin lag, sondern wahrscheinlich zur Rückseite hin.
»Jane Collins…«
Ihr Name war nur geflüstert worden. Die Stimme ließ sie hellwach werden. Sie reckte den Kopf vor und sah, dass sich hinter der Rückenlehne einer Couch Lou Kersher erhob.
Der Mann war mit den Nerven am Ende. Er zitterte, er schüttelte den Kopf und seine Augen waren weit aufgerissen. »Fast hätte er mich gehabt.«
»Der Ghoul war hier?« Jane wollte es jetzt genau wissen und erhielt auch eine Antwort.
»Ja, der Schleimklumpen.«
»Wohin führt das Fenster?«
»In einen Hof.«
Jane lief hin. Auf der kurzen Strecke huschten zahlreiche Gedanken durch ihren Kopf. Irgendwie musste dieser widerliche Dämon geahnt haben, dass es ihm an den Kragen gehen würde, denn so schnell ergriff ein Ghoul normalerweise nicht die Flucht.
Jane Collins beugte sich nach draußen.
Zunächst sah sie nichts. In der Tiefe und über dem Hinterhof lag die Dunkelheit wie eine schwammige Masse. Einzelheiten waren für sie nicht zu erkennen, und der schwache Leichengeruch, der an ihrer Nase entlangfuhr, stammte aus dem Zimmer und nicht von einem flüchtenden Ghoul, denn ihn bekam sie nicht zu Gesicht. Es brachte ihr auch nichts ein, wenn sie mit ihrer kleinen Lampe leuchtete. Um gute Sicht zu bekommen, hätte sie schon einen lichtstarken Scheinwerfer einsetzen müssen, den aber hätte sie sich erst malen müssen.
Sie drehte sich wieder um.
Im Zimmer hatte sich etwas verändert. Lou Kersher stand an seinem Platz, aber es war noch eine Person hinzugekommen. Edna Wilson hatte ihre Wohnung wieder betreten.
Sie wirkte auf Jane abstoßend und lächerlich zugleich. Fast wie eine Kunstfigur oder wie jemand, der sich verkleidet hatte.
»Pech, nicht?«, kreischte sie.
»Wo ist er?«
Die Witwe deutete auf das Fenster.
»Das weiß ich selbst«, sagte Jane. »Er ist geflohen. Aber wo kann er sein?«
»Er hat Hunger. Er wird sich was holen. In dieser Nacht ist er der Jäger.«
»Ich aber auch und…«
Lou Kersher sprach dazwischen. Er konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten. »Der Schleimkloß ist ihr Mann, verdammt. Es ist Jock Wilson. Sie nennt ihn Goldie. Ich habe es selbst gehört. Er ist gar nicht richtig tot, verflucht.«
Damit hätte Jane Collins nicht im Traum gerechnet. Sie fiel fast vom Glauben ab, und dieses Gefühl zeichnete auch ihr Gesicht. Sie konnte nur den Kopf schütteln, was wiederum Kersher nicht gefiel.
»Verdammt, das ist so. Jock Wilson ist nicht tot, wie alle gedacht haben.«
Jane wandte sich an die angebliche Witwe. »Stimmt das?«
»Wenn er es sagt!« Plötzlich konnte sie lächeln. Sie hatte ihren Spaß. In ihren Augen leuchtete es auf. Beinahe hätte sie sich die Hände gerieben, so sehr genoss sie ihren Triumph.
»Wie kann man nur mit einem Ghoul zusammen sein?«, flüsterte Jane. »Das will mir nicht in den Kopf.«
»Ich bin gut mit ihm zurechtgekommen. Über Jahre hinweg. Es war immer genügend Futter da. Wir lebten schließlich günstig.«
»Und jetzt ist der Friedhof leer, wie?«
»Genau.«
»Aber Ihr Mann hat Hunger – oder?«
»Hat er.« Die Frau nickte heftig. »Und ich weiß, dass er auch wieder satt werden wird. Noch in dieser Nacht. Kersher
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